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Freitag, 25. Januar 2019

Raj Kumar Guptas RAID – Der heroische Steuerbeamte

Gehortetes, an der Steuer vorbei in heimische Kammern und Verstecke, Säulen und doppelte Fußböden umgeleitetes Schwarzgeld ist Gift für die Wirtschaft. Nicht nur fehlt dem Staat das Geld, es ist auch dem Kreislauf entzogen. Der Kampf in Form von Hausdurchsuchungen bei Reichen mit seltsam niedrigem Steueraufkommen ist also ein patriotischer Akt für den Staat, ja für das ganze Volk, dem man das Geld geraubt hat. Davon ist der unbestechliche Einkommenssteuerbeamte Amay Patnaik in Raj Kumar Guptas RAID (2018), der im Jahr 1981 spielt, überzeugt. Zwar hat Amay die bewaffnete Staatsmacht hinter sich, aber seine entscheidende persönliche Waffe ist seine Korrektheit, seine strenge Beachtung der Regeln. Und wenn es in einem Club verboten ist, Sandalen zu tragen, dann geht er so auch nicht hinein, selbst wenn die wichtigen Männer der Stadt ihn dazu drängen. Er trinkt mit den Reichen nur den billigsten Whiskey, damit er es selbst bezahlen kann. Beamte lassen sich eben nichts schenken. Im Idealfall, und er ist so einer.

Daher hat Amay im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen auch keine Besitztümer. Leere Schränke würden das ständige Umziehen ja auch erleichtern, stellt ironisch seine Frau fest. Denn in 7 Jahren ist der unbequeme Beamte 49 mal versetzt worden. Zu Anfang des Films hat ihn seine Unbeugsamkeit diesmal nach Lucknow gebracht. Ajay Devgn, sonst oft ein Actionheld, spielt diesen friedlichen Beamten mit sanfter Geradlinigkeit und entschlossener Souveränität. Er wird nicht laut und zeigt ohne Pathos die Opferbereitschaft, bei der Sicherung von Beweismitteln notfalls zu sterben. Er ist ein selbstverständlicher Held, der einfach seinem Beamteneid folgt. Sein Wort zu halten, das unterscheide den Menschen vom Tier. Das ist Amays Credo. Dahinter steckt natürlich die Erkenntnis, dass wir uns alle immer nur einen Schritt entfernt von der Barbarei befinden. Und die bricht am Ende des Films auch aus.

Amay ist an Information über im Haus verstecktes Schwarzgeld des wichtigsten Bürgers der Stadt, genannt „Tauji“, gelangt. Es geht hier um einen angesehenen Politiker, langjähriges Mitglied des Parlaments, und erfolgreichen Geschäftsmann, der mit Großfamilie in einem palastartigen Haus wohnt. Amay studiert Akten, rechnet und kommt auf 4,2 Billionen Rupien, die zu finden sein müssten. Er geht das hohe Risiko ein. Und nun handelt der Film von fast nichts anderem als dieser einen, sich über drei Tage hinziehenden Hausdurchsuchung. Ganz detailliert wird sie gezeigt, in all ihren formalen Vorgängen. Wie der Beamte mit seiner großen Gruppe von Mitarbeitern nach und nach ins Zentrum des Hauses vordringt und man dann überallhin ausschwärmt und das Haus auf den Kopf stellen. Und während man erst nichts findet, nimmt es hinterher groteske Züge an, wenn weit mehr Schätze auftauchen als berechnet. Das ist die materielle Seite, die reine Schatzsuche.

Dann ist da die menschliche Seite der Geschichte. Denn der Film taucht auch tief hinab in die Abgründe der Gier. Da sind zum einen die Konflikte Amays mit den wütenden Hausbewohnern, allen voran natürlich Tauji selbst. Aber als erst einmal die geheimen Verstecke entdeckt werden, kommt es auch zu Konflikten innerhalb der Familie. Jeder hat heimlich in einer architektonischen Verbesserung des Hauses seine eigenen Schätze untergebracht. Und schließlich führt der Film die politische Seite vor. Dafür lässt das Drehbuch den Beamten fast einen Fehler machen, indem es Tauji losziehen lässt, damit dieser direkt erlebt, dass die Hausdurchsuchung trotz seiner Beziehungen nicht zu stoppen ist. Und tatsächlich. Nach und nach dringt der Politiker zwar bis zur Premierministerin vor, aber alles erfolglos. Der Film zeigt ein System in seinem Versagen und seinem Funktionieren, vorausgesetzt man hält sich an die Regeln.

Das Drehbuch zu RAID ist von Ritesh Shah, der zuletzt den heroischen Rettungsfilm AIRLIFT (2017) und das Gerichtsdrama PINK (2016) geschrieben hat. PINK ist angesichts des wichtigen Themas der Vergewaltigung ein etwas überdeutlicher Thesen- und Diskussionsfilm ist. Und auch wenn in der Story und in den Dialogen von RAID manchmal diese Gefahr besteht, lässt Raj Kumar Gupta die kalkulierten Zahnräder der Drehbuchmechanismen ganz weich ineinander übergehen und die einzelnen Bereiche, die vielen kleinen Handlungen, Dialoge, Auseinandersetzungen sich auf ganz natürliche, fließende Weise durch Kamera, Schnitt, Bewegung im Bild verbinden. Kumar schafft eine sehr ruhige, nie mit künstlicher Spannung angeheizte Atmosphäre. Manchmal sehen wir Amay auch nur beim Denken zu, wie er den Raum um sich herum geistig untersucht, prüft. Diese solide Grundlage des Drehbuchs erlaubte Gupta, seinen bisher besten, visuell sichersten und damit, so habe ich das Gefühl, auch persönlichsten Film zu drehen. Aber erst, wenn ich endlich den dritten seiner inzwischen vier Filme, GHANCHAKKAR (2013), gesehen habe, lege ich mich da endgültiger fest. Der Terroristenfilm AAMIR (2008) ist eine einsam-paranoide Erforschung des echten Mumbais auch in seinen düsteren Ecken und der Zivilcourage-Thriller NOBODY KILLED JESSICA (2011) hat wie RAID einen wahren Fall als Grundlage.

Biedermann und Bösewicht Tauji ist übrigens ein Mann, dem alles entgleitet, ein Mann, der alle Sicherheiten verliert. Er fällt, weil er sich der Loyalität seiner privaten und seiner politischen Familie zu sicher war. Das ist die Hybris des Bösen. Und da wäre die deutlich angesprochene mythologische Dimension gar nicht nötig gewesen. Doch die Parallele wird direkt gezogen zum Kampf vom bösen Dämon Ravana gegen den edlen König Rama, zum Überlaufen von Ravanas Bruder Vibishana, der sich auf die Seite Ramas stellt, und zur Bedrohung von Ramas Frau Sita durch den Dämon, auch wenn im Film keine Entführung stattfindet. Deshalb wird die mustergültige Ehe des Beamten so sehr betont, die als Stütze und geistige Rückendeckung eminent wichtig für ihn ist. Schließlich kann seine Arbeit lebensgefährlich sein. Dafür sorgt am Ende Tauji als passiver, besoffener, armseliger Dämon, der nur noch seine herbeigerufene Meute Gewalt ausüben lassen kann. Der Film beruht übrigens auf Tatsachen. Erst vor gar nicht langer Zeit wurde die Identität der gerechten Verräterin im Hause des Politikers öffentlich gemacht, weil sie gestorben ist. Getreu seinem Versprechen hat der echte Beamte so lange geschwiegen, und im Film verrät er es nicht mal seiner Frau. Man könnte sich vorstellen, in Wirklichkeit auch. Und abschließend frage ich mich, ob mir nicht doch noch ein weiterer Film einfällt, der von fast nichts anderem als einer Hausduchsuchung handelt ...