Rohit Shetty gehört
nicht zu meinen Lieblingsregisseuren. Und daher habe ich auch nicht
alle seine Filme gesehen. Aber er ist sehr unterhaltsam, mit
Augenblicken der Brillanz, in Wahnsinnskomik und deftiger Action. Und
er ist eine Katastrophe, wenn es um echte Emotionen geht. So war es
beispielsweise in DILWALE (2015), der wirklich witzige Momente hat,
während das von vielen so ersehnte Aufeinandertreffen von Traumpaar
Shah Rukh Khan und Kajol eher enttäuschte und jedenfalls kein
legendärer Augenblick in der Karriere der beiden war. Oder ein
anderer Shetty-Film mit Shah Rukh Khan, CHENNAI EXPRESS (2013), da
war die erste Hälfte sehr unterhaltsam, während die zweite dann
bloß eine müde Wiederholung und Variation der ersten lieferte.
Aber seine Filme haben
ein großes Verdienst. Er macht noch echtes Masala-Kino, wo
Gerichtsverhandlungen ihrer ganz eigenen Logik folgen, wo ein
eigentlich superintelligenter, sonst alles vorausahnender Held nicht
auf die Idee kommt, dass der wichtigste Zeuge vielleicht bewacht
werden müsste, wo es von einer entscheidenden Videodatei keine Kopie
gibt, sodass sie in der Asservatenkammer gelöscht werden kann. Der
Film muss ja eine bestimmte Länge haben. Wenn Bollywood nicht mehr
solche Filme herstellt, wäre es kein Bollywood mehr. Dann müsste
der Begriff Hindi-Film wieder regieren. Im Masala-Kino können die
Schauspieler noch Helden sein, ohne vom Drehbuch eingeengt zu werden.
Und jemand wie Ranveer Singh kann froh sein, in Indien und nicht in
Hollywood zu sein, denn da müsste er in Marvel-Filmen funktionieren.
Aber hier funktioniert der Film für ihn. Allerdings gibt es doch
eine Gemeinsamkeit zwischen Shetty-Masala und Marvel. Er geht auch
auf Nummer sicher und verschreibt sich ganz dem Franchise-Prinzip.
Das hatte der große Masala-Meister Manmohan Desai einst nicht nötig.
So gibt es gleich vier GOLMAAL-Filme (2006+2008+2010+2017). Und
SIMMBA ist ein Spin-off von Shettys zwei SANGHAM-Filmen (2011+2014)
mit Ajay Devgn, der ja am Ende des Films auch persönlich auftritt.
Und gerade lese ich irgendwo das Gerücht, beide könnten mal
zusammen einen ganzen Film machen, also eine Art SIMMBA-SANGHAM.
Obwohl natürlich der
größte Spaß an SIMMBA Ranveer Singhs Soloauftritte sind. Ranveer
Singh als Polizist Simmba, zu Anfang ein korrupter, perfekt
gescheitelter Schmierenkomödiant mit dem breiten Grinsen eines
Cartoonwolfes, der sein Verhalten für völlig angemessen hält
angesichts einer seiner Meinung nach durch und durch egoistischen und
materialistischen Welt. Zwischendurch entdeckt er echte Emotionen und
es ist eine intelligente Idee, dass dies nicht nur durch die
Liebesgeschichte geschieht, die überhaupt das Schwächste und
Überflüssigste am ganzen Film ist, sondern durch seine Sympathie
für eine, arme Kinder unterrichtende, Medizinstudentin, die
versucht, die Kleinen von den skrupellosen Drogenhändlern
wegzubekommen. Und als sie vergewaltigt und ermordet wird, wird Simmba
wirklich zum zornigen SIMMBA, zum Löwen. Der Film lebt, weil Ranveer
Singh das Talent hat, die klischeehafteste Szene mit echten Emotionen
zu füllen.
Und wie kein anderer
Schauspieler seiner Generation vermag er es, die Leinwand zu füllen.
Dass er ein großartiger Schauspieler ist, weiß man seit seinem
Debüt mit Anushka Sharma in dem „Hochzeitsplaner“-Film BAND
BAAJA BARAT (2010), ein Ruf, der gefestigt wurde durch seine
dreifache Zusammenarbeit mit Sanjay Leela Bhansali. Aber mit Masala
hatte er bisher nicht wirklich Glück. Doch jetzt hat er diese letzte, so wichtige Stufe
auch genommen. Bei ihm wird ja selbst normalerweise öde Werbung zum
Erlebnis. So macht er in schrillen Fantasy-Filmen als Ranveer Ching
Werbung für „Ching's Secret“, indisches China-Essen. In RANVEER
CHING RETURNS (2016), auch unter der Regie von Rohit Shetty, serviert
er in einer postapokalyptischen Welt leckeres Essen von der
Pferdekutsche aus. Und in CAPTAIN CHING RISES (2018) rettet er als
Superheld die Welt vor einem Meteoriten. Der feurige Antrieb, der bei
ihm hinten heraus schießt, wird erzeugt durch würziges Essen.
Neben Ranveer Singh
verblassen natürlich die anderen Schauspieler in SIMMBA, selbst der
grimmige Bösewicht. Da Rohit Shetty so weise war, die
Liebesgeschichte auf ein Pflicht-Minimum zu reduzieren, geht Sara Ali
Khans Leinwanddebüt leider voll ins Leere. Die Tochter von Saif Ali
Khan ist anwesend, aber austauschbar und im zweiten Teil des Films
nimmt man sie gar nicht mehr war. Was gar nicht ihre Schuld ist, denn
der Film interessiert sich nicht für sie. Die Schauspielerin, die
man nach dem Film in Erinnerung behält, ist ja sowieso Vaidehi
Parshurami als Mordopfer Aakruti Dave. Denn ein ernstes Thema hat der
Film auch noch. Und man merkt, dass er es im Rahmen des Möglichen
ernst meint. Da werden sogar Verbrechensstatistiken herangezogen. Es
geht um männliche Ehre als idiotisches Konzept, um
Vergewaltigung, Mord, Todesstrafe. Und ganz bewusst setzt SIMMBA sich
vom reinen individuellen Selbstjustizfilm ab. Simmba befragt ja einen
Querschnitt der Bevölkerung, vor allem die Frauen, und die sind dann
auch aktiv beteiligt. Auf jeden Fall ist es ein Plädoyer für den
Tod für solche Mörder und Vergewaltiger. Damit die anderen Angst
kriegen. Was würde Gandhi dazu sagen? Aber selbst der mit Engeln
kommunizierende Emanuel Swedenborg war der praktischen Ansicht, dass
nur die Aussicht auf Strafe Verbrechern Angst macht und sie abschreckt.