Der Malayalam-Film
AYYAPPANUM KOSHIYUM (2020) von Regisseur Sachy handelt über drei
Stunden Laufzeit von nichts anderem als der ständigen Konfrontation
zweier Männer. Dabei schafft der am 18. Juni 2020 leider verstorbene
Regisseur und Drehbuchautor es in seiner zweiten
Spielfilminszenierung mit einem abwechslungsreichen und ganz natürlichen Spiel aus
Rhythmus, Tempo und Stimmung eine packende Geschichte zu erzählen,
ohne auf künstliche Tricks zurückzugreifen.
Der Beginn ist ganz beiläufig. Das erste
Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten geschieht rein zufällig.
Auf der einen Seite ist da eine nächtliche Polizeikontrolle, eine
müde Routineveranstaltung, bei der nichts passiert, mit versammelter
Mannschaft in der Provinz von Kerala. Gleichzeitig nähert sich ein
Auto, vorne mit Fahrer, hinten mit einem schlafenden Besoffenen auf
dem Rücksitz. Der Wagen gerät in die Polizeikontrolle, als diese
eigentlich gerade aufgelöst werden soll. Und da widersetzt der
besoffene Koshy sich, ist wie von Sinnen, prügelt sich, zertritt
eine Autoleuchte, würgt einen Beamten und erst der Einsatzleiter
Ayyappan kriegt ihn klein. Dann werden noch 12 Flaschen Whiskey
gefunden, und das im Prohibitionsstaat Kerala. Es gibt zu viele
Zeugen, der Vorgang ist im Computer und geht seinen vorgeschriebenen
behördlichen Gang, obwohl man entdeckt, dass Koshy aus einer
einflussreichen Familie mit einflussreichen Freunden kommt.
Als Privilegierter, der
es gewohnt ist, mit allem durchzukommen, betrachtet Koshy die
folgende Strafe nicht als etwas, das er seiner eigenen betrunkenen
Dummheit zu verdanken hat, sondern als Unverschämtheit gegen einen
Unantastbaren. Und er schafft es, sich zu rächen durch ein heimlich
aufgenommenes Video, das, aus dem Kontext gerissen, für die
Suspendierung von Ayyappan sorgt. Koshy glaubt, das war's, ist
zufrieden, vergisst aber, dass ein Polizist ohne Uniform vielleicht
nicht mehr so korrekt nach Vorschriften handelt. Vor allem, da es
sich bei Ayyappan um einen besonderen Polizisten handelt. Am Anfang
des Films war ein ganz kurzer Prolog, den man erst jetzt verstehen
kann: Ayyappan war als junger Mann ein Killer, den erst die
Polizeiuniform bezwungen und diszipliniert hat. Ohne Uniform und
Gesetz kann er wieder zum Tier werden, das, ohne zu zögern, tötet.
Der Filmtitel AYYAPPANUM KOSHIYUM (2020), also „Ayyappan &
Koshy“, soll übrigens die Gleichwertigkeit der beiden Figuren und
damit auch der Hauptdarsteller deutlich machen, von Prithviraj
Sukumaran als arroganter Schnösel, der weniger hart ist, als er
vorgibt, und von Biju Menon, der von einer glaubwürdigen
unerschütterlichen Zielstrebigkeit ist.
Der Rest des Film gehört
dem direkten Duell zwischen diesen beiden Männern, wobei Ayyappan zunächst
die Polizei auf seiner Seite hat, während Koshy seine privilegierten
Freunde und ein engagiertes Killerkommando dabei hat, was er aber
eigentlich gar nicht will, denn er hat trotz allem seinen Stolz. Und
so unerträglich Koshy sich aufführt, so sehr man als Zuschauer die
meiste Zeit auf Ayyappans Seite steht, die Stärke des Films liegt
auch darin, dass Koshy nicht das reine Abziehbild des verwöhnten
Reichensohnes bleibt. Der Film hat vom Prinzip her mehr mit
klassischen Western zu tun, als mit krachenden
Actionfilm-Rivalitäten, denn es gibt außer einigen Prügeleien
nicht eine einzige wirklich große Actionszene. Trotzdem funktioniert
die Geschichte als geschickter Balancegang, bei dem das Interesse
nicht erlahmt. Sachy hat ein feinen Sinn für die kleinen Details,
wodurch der Film es nicht nötig hat, die Eskalation in eine
Action-Welt des Irrealen und Absurden abdriften zu lassen, sondern
dass es hier vor allem subtile Variationen und Steigerungen gibt, die
allesamt nachvollziehbar sind.
Und es sind Variationen
an größtenteils denselben Orten. Der Film erweitert sein Universum
nicht, sondern hält es geschickt begrenzt: die Polizeistation, das
kleine Hotel, der einsame Dschungel, die Häuser der beiden, denn es
handelt sich um zwei Männer mit Familie. Außer tätlichen
Auseinandersetzungen ist das Gesetz hier eine starke Waffe, für
beide Seiten. Sei es die Verhaftung von Ayyappans Ehefrau, sei es die
Beschlagnahme von Kochys Autos in der Wildnis, was zu einem Fußmarsch
durch Wege mit Elefantenscheiße führt, sei es die von Koshy selbst
veranlasste Verhaftung des Vaters, damit dieser nicht mehr in das
Geschehen eingreifen kann. Und immer kommt jemand dazwischen, denn
der Staat will einen Mord verhindern. Das Ganze hat aber auch sehr
viel Humor, aber nicht von der ironischen oder slapstickartigen Art,
sondern ein Humor, der ganz und gar aus den oft absurden Szenen
entspringt. Auch die Intensität, mit der die beiden sich immer mehr
ineinander verbeißen, bekommt immer absurdere Seiten. Lachen
entsteht manchmal einfach aus Sprachlosigkeit.
Es ist, neben der
persönlichen Auseinandersetzung, ein Klassenkampf, der sich hier
abspielt. Am unteren Rand der Gesellschaft existiert die
Stammesbevölkerung der Wälder, die dort unter mageren Umständen
lebt, und zu der Ayyappans Frau gehört, die durch ihr Eintreten für
Unterdrückte und die eine oder andere anti-bourgeoise Äußerung der
Zugehörigkeit zu einer maoistischen Gruppe verdächtigt wird. Und
auf der anderen Seite steht die Welt der Reichen und Privilegierten,
die als eine aggressive Welt der Unterdrückung geschildert wird, vor
allem auch nach innen durch patriarchalischen Terror, dessen Opfer
dann die eigenen Frustrationen nach außen weitergibt.
AYYAPPANUM
KOSHIYUM liefert so ganz nebenbei die subtile Darstellung eines
Privilegiertensohnes, der sich trotz 17 Jahre langer
Armeezugehörigkeit längst nicht vom dominanten Vater emanzipiert
hat. Der ist es gewohnt ist, mit dem Leben anderer zu spielen, auch wenn
jetzt im Alter sein gesellschaftlicher Einfluss langsam am Schwinden ist, aber innerhalb der Familie kann er immer noch die alten Machtspiele spielen. In manchen
Szenen bröckelt die selbstsichere, arrogante Fassade Koshys
gewaltig, so wie in diesem witzigen Dialog: Bei einer Autofahrt
spricht er mit dem Chauffeur und kann nicht ganz ausdrücken, was er
sagen will: „Ich habe Angst, dass, nein, nein, nicht Angst.“
Schließlich will er stark und mutig erscheinen. Der Fahrer schlägt
als besseres Wort vor: „Furcht.“ Und Koshy springt in einem
Reflex darauf an: „Ja, genau, Furcht.“ Als er plötzlich merkt,
was er da gesagt, stockt er, aber der Fahrer lächelt unmerklich.