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Sonntag, 28. Juni 2020

Sachys AYYAPPANUM KOSHIYUM – Die Arroganz der Privilegierten


Der Malayalam-Film AYYAPPANUM KOSHIYUM (2020) von Regisseur Sachy handelt über drei Stunden Laufzeit von nichts anderem als der ständigen Konfrontation zweier Männer. Dabei schafft der am 18. Juni 2020 leider verstorbene Regisseur und Drehbuchautor es in seiner zweiten Spielfilminszenierung mit einem abwechslungsreichen und ganz natürlichen Spiel aus Rhythmus, Tempo und Stimmung eine packende Geschichte zu erzählen, ohne auf künstliche Tricks zurückzugreifen.

Der Beginn ist ganz beiläufig. Das erste Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten geschieht rein zufällig. Auf der einen Seite ist da eine nächtliche Polizeikontrolle, eine müde Routineveranstaltung, bei der nichts passiert, mit versammelter Mannschaft in der Provinz von Kerala. Gleichzeitig nähert sich ein Auto, vorne mit Fahrer, hinten mit einem schlafenden Besoffenen auf dem Rücksitz. Der Wagen gerät in die Polizeikontrolle, als diese eigentlich gerade aufgelöst werden soll. Und da widersetzt der besoffene Koshy sich, ist wie von Sinnen, prügelt sich, zertritt eine Autoleuchte, würgt einen Beamten und erst der Einsatzleiter Ayyappan kriegt ihn klein. Dann werden noch 12 Flaschen Whiskey gefunden, und das im Prohibitionsstaat Kerala. Es gibt zu viele Zeugen, der Vorgang ist im Computer und geht seinen vorgeschriebenen behördlichen Gang, obwohl man entdeckt, dass Koshy aus einer einflussreichen Familie mit einflussreichen Freunden kommt.

Als Privilegierter, der es gewohnt ist, mit allem durchzukommen, betrachtet Koshy die folgende Strafe nicht als etwas, das er seiner eigenen betrunkenen Dummheit zu verdanken hat, sondern als Unverschämtheit gegen einen Unantastbaren. Und er schafft es, sich zu rächen durch ein heimlich aufgenommenes Video, das, aus dem Kontext gerissen, für die Suspendierung von Ayyappan sorgt. Koshy glaubt, das war's, ist zufrieden, vergisst aber, dass ein Polizist ohne Uniform vielleicht nicht mehr so korrekt nach Vorschriften handelt. Vor allem, da es sich bei Ayyappan um einen besonderen Polizisten handelt. Am Anfang des Films war ein ganz kurzer Prolog, den man erst jetzt verstehen kann: Ayyappan war als junger Mann ein Killer, den erst die Polizeiuniform bezwungen und diszipliniert hat. Ohne Uniform und Gesetz kann er wieder zum Tier werden, das, ohne zu zögern, tötet. Der Filmtitel AYYAPPANUM KOSHIYUM (2020), also „Ayyappan & Koshy“, soll übrigens die Gleichwertigkeit der beiden Figuren und damit auch der Hauptdarsteller deutlich machen, von Prithviraj Sukumaran als arroganter Schnösel, der weniger hart ist, als er vorgibt, und von Biju Menon, der von einer glaubwürdigen unerschütterlichen Zielstrebigkeit ist.

Der Rest des Film gehört dem direkten Duell zwischen diesen beiden Männern, wobei Ayyappan zunächst die Polizei auf seiner Seite hat, während Koshy seine privilegierten Freunde und ein engagiertes Killerkommando dabei hat, was er aber eigentlich gar nicht will, denn er hat trotz allem seinen Stolz. Und so unerträglich Koshy sich aufführt, so sehr man als Zuschauer die meiste Zeit auf Ayyappans Seite steht, die Stärke des Films liegt auch darin, dass Koshy nicht das reine Abziehbild des verwöhnten Reichensohnes bleibt. Der Film hat vom Prinzip her mehr mit klassischen Western zu tun, als mit krachenden Actionfilm-Rivalitäten, denn es gibt außer einigen Prügeleien nicht eine einzige wirklich große Actionszene. Trotzdem funktioniert die Geschichte als geschickter Balancegang, bei dem das Interesse nicht erlahmt. Sachy hat ein feinen Sinn für die kleinen Details, wodurch der Film es nicht nötig hat, die Eskalation in eine Action-Welt des Irrealen und Absurden abdriften zu lassen, sondern dass es hier vor allem subtile Variationen und Steigerungen gibt, die allesamt nachvollziehbar sind.

Und es sind Variationen an größtenteils denselben Orten. Der Film erweitert sein Universum nicht, sondern hält es geschickt begrenzt: die Polizeistation, das kleine Hotel, der einsame Dschungel, die Häuser der beiden, denn es handelt sich um zwei Männer mit Familie. Außer tätlichen Auseinandersetzungen ist das Gesetz hier eine starke Waffe, für beide Seiten. Sei es die Verhaftung von Ayyappans Ehefrau, sei es die Beschlagnahme von Kochys Autos in der Wildnis, was zu einem Fußmarsch durch Wege mit Elefantenscheiße führt, sei es die von Koshy selbst veranlasste Verhaftung des Vaters, damit dieser nicht mehr in das Geschehen eingreifen kann. Und immer kommt jemand dazwischen, denn der Staat will einen Mord verhindern. Das Ganze hat aber auch sehr viel Humor, aber nicht von der ironischen oder slapstickartigen Art, sondern ein Humor, der ganz und gar aus den oft absurden Szenen entspringt. Auch die Intensität, mit der die beiden sich immer mehr ineinander verbeißen, bekommt immer absurdere Seiten. Lachen entsteht manchmal einfach aus Sprachlosigkeit.

Es ist, neben der persönlichen Auseinandersetzung, ein Klassenkampf, der sich hier abspielt. Am unteren Rand der Gesellschaft existiert die Stammesbevölkerung der Wälder, die dort unter mageren Umständen lebt, und zu der Ayyappans Frau gehört, die durch ihr Eintreten für Unterdrückte und die eine oder andere anti-bourgeoise Äußerung der Zugehörigkeit zu einer maoistischen Gruppe verdächtigt wird. Und auf der anderen Seite steht die Welt der Reichen und Privilegierten, die als eine aggressive Welt der Unterdrückung geschildert wird, vor allem auch nach innen durch patriarchalischen Terror, dessen Opfer dann die eigenen Frustrationen nach außen weitergibt. 

AYYAPPANUM KOSHIYUM liefert so ganz nebenbei die subtile Darstellung eines Privilegiertensohnes, der sich trotz 17 Jahre langer Armeezugehörigkeit längst nicht vom dominanten Vater emanzipiert hat. Der ist es gewohnt ist, mit dem Leben anderer zu spielen, auch wenn jetzt im Alter sein gesellschaftlicher Einfluss langsam am Schwinden ist, aber innerhalb der Familie kann er immer noch die alten Machtspiele spielen. In manchen Szenen bröckelt die selbstsichere, arrogante Fassade Koshys gewaltig, so wie in diesem witzigen Dialog: Bei einer Autofahrt spricht er mit dem Chauffeur und kann nicht ganz ausdrücken, was er sagen will: „Ich habe Angst, dass, nein, nein, nicht Angst.“ Schließlich will er stark und mutig erscheinen. Der Fahrer schlägt als besseres Wort vor: „Furcht.“ Und Koshy springt in einem Reflex darauf an: „Ja, genau, Furcht.“ Als er plötzlich merkt, was er da gesagt, stockt er, aber der Fahrer lächelt unmerklich.