Mit der
Netflix-Produktion GHOST STORIES (2020) haben sich, nach BOMBAY
TALKIES (2013) und LUST STORIES (2018), die Hindi-Filmregisseure Zoya
Akhtar, Anurag Kashyap, Dibakar Bannerjee und Karan Johar erneut für
einen Episodenfilm mit thematischer Klammer zusammengetan. Oft fallen
solche Filme qualitativ auseinander, so wie AUSSERGEWÖHNLICHE
GESCHICHTEN (1968) nach Poe, wo die Fellini-Episode die anderen
beiden weit überragt. Doch das war in diesen indischen
Omnibus-Filmen bisher nicht der Fall, und ist es auch diesmal nicht,
wo Geistergeschichten auf dem Programm stehen. Wobei nur zwei der
Beiträge echte übersinnliche Geistergeschichten sind. Was aber alle
gemeinsam haben, ist trotz fantastischer Imagination eine gewisse
Bodenständigkeit. Die Geschichte sind allesamt sehr geerdet in einer
sozialen, psychologischen, politischen Realität. Keiner der vier
verschwindet völlig in fremden Welten oder erforscht das Jenseits,
wie es etwa die beiden INSIDIOUS-Filme (2010/2013) von James Wan tun.
Es geht los mit Zoya
Akhtars Beitrag, die mit Janhvi Kapoor in der Hauptrolle eine sehr
reale Geschichte erzählt über eine Pflegerin, die einen neuen Job
beginnt in einer Wohnung, die förmlich nach einem Geist schreit und
wo man besser alle Lichter anlässt, um das Düstere etwas auf
Abstand zu halten. Der Horror ist zunächst einmal bloß die Arbeit
an sich in dieser gruftigen Atmosphäre, mit einer schwierigen
Patientin, die man offensichtlich eine Zeit lang ganz allein gelassen
hat – es liegt viel Post im Briefkasten – und die
zwischendurch seltsame Fähigkeiten entwickelt. Eigentlich halbseitig
gelähmt von einem Schlaganfall, sitzt sie plötzlich aufrecht im
Bett. Dazu kommen noch seltsame
Geräusche auf dem Flur, und man weiß, da stimmt etwas nicht, auch wenn es für die junge Frau nie wirklich bedrohlich wird. Es wirkt bloß bedrohlich. Man
merkt, dass Zoya Akhtar vor allem an der realistischen Seite der
Geschichte interessiert ist, an einer alleingelassenen alten Frau,
die ständig von ihrem Sohn spricht, der vermeintlich in der Wohnung
sein soll. Aber eigentlich ist so eine Wirklichkeit ja auch
gruseliger als die meisten Geister.
Kashyaps Film ist der
seltsamste und unangenehmste der vier Filme. Es geht um
ein eine Ehefrau, die den frühen Kindstod des neugeborenen Babys
nicht verkraftet hat und jetzt wieder schwanger ist. Gleichzeitig ist
sie Tages- und Ersatzmutter für den besitzergreifenden Neffen, der
bei dem alleinerziehenden Vater lebt. Kashyap mischt verschiedene
Horror-Themen. Einmal gibt es den Schwangeren-Horror, die Angst um
das Ungeborene, den fragilen Geisteszustand der werdenden Mutter, die
in einem Zimmer voller Puppen Mama spielt. Dazu kommt Tierhorror,
anhand von Raben auf dem Dach das alte Thema der Metamorphose. Und
dann gibt es das Motiv der „bösen Saat“, also eines Kindes, das
seinen bösen Willen durchsetzt, wie in DAS OMEN (1976) oder eben DIE
BÖSE SAAT (1956). Hier ist es aber keine dämonische Besessenheit,
sondern das Egoistische, das in jedem Kind mehr oder weniger
ausgeprägt existiert. Es ist kein Schwarzweißfilm, sondern einfach
farblos, während man noch ein paar Farbtöne hinter der grauen
Fassade erahnen kann. Die Episode ist schmerzhaft und verstörend.
Bannerjee bedient sich
beim heutzutage so beliebten Zombie-Horror, liefert aber eine ganz persönliche
Variante, wobei er mehr mit George A. Romeros klassischem
politisch-metaphorischen Splatter gemeinsam hat als mit den modernen
Mode-Untoten und ihren amüsanten, aber streng genommen sinnfreien
Parodien wie ZOMBIELAND (2009/2019). Bannerjees Beitrag beginnt
zunächst als abstrakter, klaustrophobischer Horror, um dann ins
intensiv Physische umzuschlagen. Es geht vom Eingeschlossensein, vom
stillen Verbergen in einem Raum vor dem unbekannten Bösen vor der Tür zum
direktesten Kontakt damit. Bei Bannerjee handelt es sich um eine Art
umgekehrte Evolution, ein Zurück zum Fressen und Gefressenwerden,
eine Rückentwicklung des Menschen in Steinzeit-Tiermonster. Und es
bezeichnet ganz einfach unsere Gegenwart. Ebenso wie Kashyap hat
er eklige Szenen eingebaut.
Die letzte Episode von
Karan Johar würde man problemlos auch ohne Hinweis sofort erkennen.
Da gibt es Production value, ein schönes Haus, schöne Einrichtung,
schöne Menschen und ein schöne Hochzeit. Aber hinter den perfekten
Fassaden verbergen sich ja oft die tiefsten oder zumindest
seltsamsten und bizarrsten Abgründe. Johar widmet sich dem
klassischen Gothic horror, auch wenn er auf die Inszenierung der
Architektur verzichtet, denn dies ist ein heller, eher sonniger
Geisterfilm, und der Geist, die Oma, spukt nicht als unheimliches
Etwas durch die nächtlichen Gänge und es erklingt auch kein Lied
dazu, nein, sie ist glückliches aktives Mitglied der Familie und wenn etwas
entschieden wird, berät man sich mit ihr. Und wenn sie sogar in die
Hochzeitsnacht hineinplatzt, dann wird man an die katastrophale
Hochzeitsnacht in Johars Episode zu LUST STORIES erinnert. Johar
spielt offensichtlich gerne mit dem indischen Hochzeitsnacht-Mythos.
Und eins lernt man hier eindringlich: Man sollte nie Geister
beschimpfen, an die man nicht glaubt. Sie könnten es hören.