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Dienstag, 7. Januar 2020

AVANE SRIMANNARAYANA – Schatzsuche mit Cowboy Krishna

Der südindische AVANE SRIMANNARAYANA (2019) war genau der richtige Film, um kinoindisch ins neue Jahr zu kommen. Ganz einfach unkompliziertes überdrehtes Kino-Masala. Um es europäisch zu sagen: Wenn der Terence Hill der 70er heute einen indischen Unterhaltungsfilm drehen würde, dann sähe er wohl in etwa aus wie AVANE SRIMANNARAYANA, inszeniert von Regiedebütant Sachin Ravi, der bisher als Cutter gearbeitet hat. Denn ein bisschen Western gibt es in diesem im nostalgischen Vintage-Land angesiedelten Film auch, nicht nur durch die weite, wüstenartige Landschaft, sondern so richtig mit Saloon und Bier und Zielschießen und einem Besitzer namens Cowboy Krishna, einem Fan der Cowboy-Kultur. Der wird wortlos gespielt von Rishab Shetty, und diese Figur kam sofort beim Publikum so gut an, dass jetzt ein eigener Film für sie geplant wird. Dann vielleicht auch sogar mit ein bisschen echter passender indischer Country-Musik, mehr als das bisschen Imitation von Morricone-Leone-Sounds wie in AVANE SRIMANNARAYANA.

AVANE SRIMANNARAYANA wird wegen seiner technischen Dimensionen als Großtat des Kannada-sprachigen Kinos gefeiert. Und tatsächlich muss er sich er sich schon rein visuell vor den Konkurrenten der benachbarten und größeren Tamil- oder Telugu-Industrien nicht verstecken. Zwar könnte ich jetzt an Schwächen des Films hängen bleiben, aber wozu, wen interessiert's? Erstens ist das alles viel zu sympathisch. Und zweitens erfüllt der Film punktgenau seinen Zweck als Massenentertainer. Und dabei bleibt der Film immer entspannt, versucht stilistisch nichts zu erzwingen, was sehr angenehm wirkt, wodurch man selbst ganz entspannt seinen Spaß hat. Masala-Film, das bedeutet ja vor allem viele Ideen und ein Gefühl der schwerelosen Freiheit von dramaturgischen und oft auch logischen Zwängen. Nur in wichtigen Schlüsselszenen werden auch hier alle Mittel wie schnelle Schnitte und digitale Tricks aufgefahren. Das sollten sich die Masala-Dilettanten, die pausenlos mit tausend nervigen Mitteln den Zuschauer wirkungsmäßig auswringen wollen wie eine Zitrone, ein Beispiel dran nehmen. Ja, SAAHO, ich rede auch von dir.

Handlung gibt es wie immer irgendwie auch: Im Prinzip geht es um eine Schatzsuche nach geraubtem Gold aus Regierungsbesitz, und alles ist ein ständiges Hin und Her zwischen den einzelnen Personen und Personengruppen. Die Täter waren einst die Mitglieder einer Theatertruppe, die dem Chef eines Banditenclans zuvorgekommen sind, der sie deshalb beleidigt erschießen ließ. Dazu kommt eine Rahmenhandlung um zwei Söhne dieses Killers, dem Streit zwischen ehelichem und unehelichem Sohn, dem Streit um die Nachfolge. Dazu kommt noch ein riesiger Haufen mythologischer Anspielungen, die aber zum größten Teil schön verständlich erklärt werden. Also können auch die, die nicht so epenfest sind, geistig mithalten. Von mir aus hätten es ruhig ein paar Musiknummern mehr dabei sein können. Am einfallsreichsten und nettesten ist ein Lied im Wald, mit einer großen tanzenden Theatertruppe in mythologischen Kostümen.

Rakshit Shetty gibt mit verdrehtem Charme den schurkigen Scheriff, der auch gleichzeitig ein bisschen schusselig ist, wenn er schon mal die Bodyguards statt der Banditen verhaftet. Aber durch eine Frau kann auch der fürchterlichste Mann zum Guten gezähmt werden. Und solch eine Frau gibt es hier auch, natürlich erst mal als emanzipierte Schimpfdame, die dem Scheriff dauernd Beschwerden über seine eigenen Versäumnisse diktieren will. Dabei muss man nur nett zu ihm sein und ihm täglich Tee bringen lassen, damit er wie vorgeschrieben funktioniert. Aber dieser Hero schwankt ja noch. Ständig biegt sich sein Oberkörper zur Seite, rechts, links, beugt sich vor, zurück. Ob das jetzt ein amüsanter Hero-Manierismus ist oder eine tiefgründige Metapher für die moralische Unentschlossenheit der Hauptfigur zwischen Gut und Böse darstellt, schwer zu sagen. Nehmen wir einfach mal an, beides.

Donnerstag, 2. Januar 2020

MANIKARNIKA, JHANSI KI RANI: 2019, 1953


Als ich vor kurzem endlich den Historienfilm MANIKARNIKA: THE QUEEN OF JHANSI (2019) mit Kangana Ranaut gesehen habe, hatte ich das Bedürfnis, mir zusätzlich den themengleichen alten Hindi-Filmklassiker JHANSI KI RANI (1953) von Sohrab Modi nach langer Zeit mal wieder anzuschauen. Genauer gesagt habe ich mir die zwei parallel gedrehten Versionen von Modis Film angesehen, einmal eine bunte, englischsprachige 95-Minuten-Fassung, die 1956 in den USA herauskam, und zum anderen eine 40 Minuten längere Hindi-Fassung in Schwarzweiß. Die lange Hindi-Farbversion scheint verschollen. Die Unterschiede zwischen Modis zwei Versionen liegen nicht in Musikszenen, wie man spontan annehmen könnte, denn die gibt es in beiden Filmen. Die lange Version ist entspannter, hat mehr typisch Kulturelles, zeigt eher das Bild von innen, vor allem in der ersten Hälfte. Die kurze Version ist dafür eher der gestraffte Blick von außen. Vergleicht man Modis Arbeit nun mit MANIKANRIKA, dann liegt der Unterschied nicht so sehr darin, was erzählt, sondern wie die Geschichte der Königin von Jhansi (1828-1858) interpretiert wird, die Teil der großen antibritischen Rebellion ab 1857 war und die gegen die Britische Ostindien-Kompanie kämpfte und dabei starb. Man könnte den Gegensatz des neuen und des alten Films zusammenfassen als Heldin vs. Historie.

Denn die Diskussionen darüber, wie groß Ranauts Anteil an der Regie und am Gesamtergebnis von MANIKARNIKA im Verhältnis zum Hauptregisseur Radha Krishna Jagarlamudi, kurz Krish, nun wirklich ist, sind eigentlich ganz belanglos, da es gefühltermaßen sowieso durch und durch ein Kangana-Ranaut-Film ist. Das fängt schon am Anfang an, wo sie nicht nur Reitkunststücke zeigt, sondern sogar - und ehrlich gesagt etwas albern - beim Besteigen eines Pferdes martial-arts-mäßig den fliegenden Chinesen gibt. Sie ist auch Kriegerin, aber ein ein Dorf bedrohender Tiger wird nur betäubt. Hier ist es eher die vegetarische Tierschützerin Ranaut, die über die Filmfigur bestimmt. Der Drehbuchablauf der historischen Ereignisse ist auf sie zurechtgeschnitten, und sie steht folgerichtig ganz und gar im Mittelpunkt. Als der königliche Lehrer Manikarnika auf seiner Suche nach einer passenden Frau für den Thron entdeckt, ist sie kein außergewöhnliches rebellisches sehr junges Mädchen, sondern schon eine ausgewachsene junge Frau, die dann mit dem 40 Jahre älteren König von Jhansi verheiratet wird. Es ist hier eben wichtig, dass sie in der Gestalt von Kangana Ranaut entdeckt wird und nicht als Mädchen.

MANIKARNIKA geht bis zur Ikonisierung, zur abschließenden Vergöttlichung. Außerdem ist es eine moderne Pop-Feminismus-Interpretation historischer Ereignisse, wobei so vieles ins Übersteigerte und Fantastische gleitet, was natürlich unterhaltende Schauwerte liefert. Die Persönlichkeit der Hauptdarstellerin ist es, die diesem geschmackvollen Film, der eine Reihe von sehr schönen Liedern zu bieten hat, seine unbestreitbare Energie verleiht. Wobei ich es sehr erfrischend finde, dass da in Bollywood jetzt auch eine Frau ist mit dem gewissen egomanischen Hero-Größenwahn, den man doch braucht, um solche Rollen auf so eine Art zu spielen. Denn auch wenn Frauen große Rollen haben, so spielen sie doch meist Hauptrollen und keine Hero-Rollen wie es etwa Salman Khan in seinen Ich-rette-die-Welt-und-mach-sie-besser-Knallern macht. Und so wird MANIKARNIKA immer wieder zur kraftvollen, übersteigerten Masala-Manikarnika, besonders in Bezug auf die Bösen und das Böse. Hier geht es nicht um politische Abläufe und Mechanismen, sondern um den Kampf zwischen Gut und Böse, verkörpert durch Briten, die nur dazu da sind, den Hass des Publikums auf sich zu ziehen. Es ist eine Welt der unvereinbaren Gegensätze und der bösen Mächte. Selbst der Tod des Sohnes, des eigentlichen Thronnachfolgers, erscheint hier durch dämonische Kräfte von außen verschuldet, von den Briten und von einem mit ihnen verbündeten indischen Verräter. Und so hält man sich zwar im Prinzip an die historischen Ereignisse, aber sie werden angepasst.

Aber auch bei Sohrab Modi sind Filme über geschichtliche Ereignisse nicht zweckfrei, und als Schauspieler ist er durch seine Gestalt und seine Diktion sowieso nicht zu übersehen, so wie seine Figur des königlichen Lehrers in JHANSI KI RANI eine ganz bedeutende Rolle spielt und immensen Einfluss auf die Entscheidungen der Königin hat. Hier ist also auch ein präsensstarker Darsteller mit schauspielerischem Ego. Aber dennoch wird die Geschichte nüchterner, aunaufgeregter und mit mehr Demut behandelt. Bis zu dem Streit über die Thronnachfolge versteht man sich noch mit den Briten, die Königin hat sogar einen britischen Freund aus Kindertagen. Modi war schon in den 40ern mit Filmen wie SIKANDER (1941) ein Meister des wortgewaltigen Historienfilms. SIKANDER war ein Film über den Besatzer und den Besetzten, eine Metapher für das britisch kolonialisierte Indien, aber es findet ein sachlicher Dialog statt zwischen Alexander dem Großen und König Porus. JHANSI KI RANI war dann ein feierliches Freiheits-Epos des endlich unabhängigen Indien. Der internationale Titel des Films ist THE TIGER AND THE FLAME, auf ostdeutsch DIE MAHARANI VON DSCHANSI und auf westdeutsch FEUER UND STURM. Leider lief diese beeindruckende Großproduktion in Indien nicht gut. Es war wohl so, dass das Publikum Hauptdarstellerin Mehtab mit 34 als zu alt in der Rolle der Königin empfand, was unverständlich und ungerecht ist. Sie spielt mit authentischer Würde und unerschütterlicher Stärke. Im Ganzen ist es ein gut besetzter Ensemblefilm mit einer ausgewogenen Mischung aus Sachlichkeit, Poesie und Schauwerten, den ich gerne zwei Mal hintereinander geguckt habe. Die kurze Farbfassung ist außerordentlich intensiv, spannend und wunderbar anzugucken. Es machte sich bezahlt, dass Modi den US-Kameramann Ernest Haller, verantwortlich für Licht und Bild von Farbklassikern wie VOM WINDE VERWEHT (1939) und DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (1955), engagiert hatte.

Zwei Schlüsselszenen verdeutlichen sehr schön die Unterschiede der Verfilmungen. Da ist einmal ein entscheidender Moment in einer Schlacht, als die Briten ihre Kanonen zu einem Tempel stellen, da sie annehmen, dass dann nicht gefeuert wird von den Indern. In MANIKARNIKA wird daraus eine bravouröse Actionszene. In JHANSI KI RANI hingegen gibt die Königin den Befehl, trotzdem zu feuern und auf Gott zu vertrauen. Und dann betet sie einfach. Und wird erhört. Modis Film ist sowieso einer des langen Atems und der stillen, gottergebenen Religiosität, wobei der Königin immer wieder eine der zentralen Stellen der Bhagavad Gita eingeschärft wird, dass der Mensch Pflicht zum Handeln, aber kein Recht auf die Früchte seiner Arbeit habe. Und dann gibt es die Todesszene, wo Kangana Ranaut während der Schlacht nach der tödlichen Verwundung in gewaltigen Flammen aufgeht. Das ist so viel sanfter in JHANSI KI RANI. Da kann die Köngin vom Schachtfeld fliehen und landet bei einem Sadhu, einem Mönch, wo sie inmitten eines schönen Gartens stirbt. In der Farbversion wirkt das so friedlich und harmonisch, dass der Tod nicht nur ohne Schrecken bleibt, sondern direkt als etwas Angenehmes erscheint. Der Sadhu verbrennt die Leiche dann mitsamt des Hauses. Die genauen Umstände ihres Todes sind, wie wie so manches andere, nicht völlig klar.

Mittwoch, 1. Januar 2020

Reema Kagtis GOLD – Rache für 200 Jahre

Da freue ich mich immer wieder, wie erholsam es ist, in indischen Filmen ständig standardböse Kolonial-Engländer, aber nicht standardböse Nazi-Deutsche zu sehen, und dann gucke ich mir endlich Reema Kagtis GOLD: THE DREAM THAT UNITED OUR NATION (2018) an, und gleich am Anfang gibt es  – Nazis. Da ich nach Möglichkeit im Vorfeld Inhaltsangaben meide, war das wirklich eine Überraschung. Doch es beginnt tatsächlich im Deutschen Reich von 1936, bekanntlich das Jahr der berühmten Olympischen Spiele in Berlin. Ein wenig ruhmreicher Moment deutscher Sportgeschichte geschieht, als das Team von British India im Hockeyfinale die Deutschen auf dem Platz demütigt und mit 8:1 die Goldmedaille gewinnt. Großer Wermutstropfen für die Inder: Man muss bei der Siegerehrung die britische Fahne ertragen. Man schwört, irgendwann sportliche Rache für 200 Jahre Unterdrückung zu nehmen, zu der es erst 1948 durch die Unabhängigkeit des Vorjahres und die ersten Nachkriegs-Spiele ausgerechnet in London Gelegenheit gibt.

Die Geschichte ist zwar inspiriert von den wahren Ereignissen, aber man hat sich, vermutlich wegen der vielen künstlerischen Freiheiten, für andere Namen für die Filmfiguren entschieden. Die von Akshay Kumar dargestellte Hauptfigur des Films ist kein Hockey-Spieler, sondern ein Verbandsmanager namens Tapan Das mit einer großen Schwäche für die Flasche, wenn das Leben nicht so will, wie er es sich vorstellt. Erst als es nach dem Krieg wieder Aussicht auf Sport gibt, wacht er aus seinem Rinnsteinkoma auf, weil er davon besessen ist, eine Hockey-Nationalmannschaft nach London zu entsenden. Dass er seine Frau zur Verzweiflung treibt, dürfte wenig überraschen und sie seufzt schon mal wenig überzeugend, dass sie da auch ein anderes Heiratsangebot hatte – vermutlich von einem zuverlässigeren und langweiligeren Mann. Denn Tapan ist auch liebenswert, intelligent und charmant und hat Ideen, die andere nicht haben, aber er kann eben auch äußerst exzessiv berauscht werden. Das sieht man in zwei sehr schönen Musiknummern. Und es sind in GOLD vor allem die einzelnen Szenen, die ausgezeichnet besetzten Figuren, die flüssige Erzählweise ohne Wiederholungen und Leerstellen, die den Film gut funktionieren lassen. Visuell leuchtet er in vielen Szenen sonnig nostalgisch und golden-optimistisch. Eine gewisse Leichtigkeit durchzieht den ganzen Film, verkörpert durch den unbändig optimistischen Kampfeswillen von Akshay Kumars Tapan Das, den keine Flasche von seinem Ziel abbringen kann. GOLD ist in der Beziehung übrigens ein ganz wunderbarer Trinkerfilm, wie man ihn im indischen Kino nicht so oft sieht.

GOLD ist Reema Kagtis dritte Regiearbeit. Sie ist ja besonders durch ihre Drehbucharbeit eng mit der Akhtar-Familie verbunden ist. An Zoya Akhtars schönem GULLY BOY (2019) war sie zuletzt als Autorin ja auch beteiligt. Die Akhtar-Familie hat wohl irgendwie Spaß an patriotischen Sportfilmen gewonnen nach dem Läuferfilm BAAG MILKA BAAG (2013), für den Farhan Akhtar immerhin einen Filmfare Award für die beste Hauptrolle bekam. Der hat GOLD mitproduziert. Und die Dialoge des Drehbuchs wurden von Javed Akhtar ausgefeilt. Da hat man es vielleicht auch ihm mit zu verdanken, dass es nicht zuletzt deshalb ein so angenehmer, unterhaltsamer Film ist, weil dessen nationales Pathos nie übertrieben oder sirupig wird. Alles bleibt sehr friedlich, ohne jede Aggressivität. Es geht um Kolonialismus und Unabhängigkeit, nationale Einheit der Regionen und Religionen, um die Teilung, die 1947 eine funktionierende Nationalmannschaft auseinander reißt, sodass von vorne angefangen werden muss. Über diese Zersplitterung des Teams freuen die Engländer sich zunächst, wobei dies ein Spiegelbild der von teile-und-herrsche bestimmten großen britischen Politik darstellt, die eine der geistigen Grundlage für die Trennung Indiens ist und zu seiner vermeintlichen Schwächung führen sollte. Doch weder Sport noch Politik sind eben so mechanisch plan- und vorhersehbar. GOLD war der perfekte Film für den Unabhängigkeitstag 2018, an dem der Film erfolgreich Premiere hatte.

Sonntag, 29. Dezember 2019

Akshay Kumar in GOOD NEWWZ – Fortpflanzungsstress

Nirgendwo werden Warenlogos und Luxusgüter mit mehr Liebe gefilmt als bei Karan Johars Dharma Productions, selbst wenn noch andere Firmen beteiligt sind. Das konnte man jetzt zum Jahresende mal wieder in der Komödie GOOD NEWWZ (2019) von Regisseur Raj Mehta sehen. Da schaut die Kamera in perfekter Werbeästhetik gleich am Anfang ehrfürchtig zum Volkswagen-Logo an einem edlen Autohaus hinauf. Da streichelt sie erotisierend über die Wagen hinweg, die ein nicht sehr erfolgreicher Verkäufer einem gleichzeitig von den schreienden kleinen Sohn terrorisierten Kunden andrehen will. Da erscheint Akshay Kumar als der so siegessichere Kollege Batra und besticht den Jungen mit einem Spielzeugauto. Doch Kinder sind illoyal und deshalb unbestechlich. Das Blag brüllt schnell wieder los, und der Papa tritt mit ihm die Flucht an. Akshay Kumar kann dem Kleinen gerade noch das Spielzeugauto wegnehmen. Das hat der sich ja nicht ehrlich verdient.

Und so ein ähnlich nerviges Kind will ihm seine Frau – Kareena Kapoor Khan von ihrer zu allem entschlossenen Seite – jetzt auch ins Haus setzen. Und dazu muss er pünktlich zur Stelle sein, denn sie kennt ja ihren Kalender. Selbst vom gemütlichen Feierabend-Bier mit den Kollegen wird er abkommandiert, um endlich nach sieben Jahre Ehe für Nachwuchs zu sorgen. Bier und Zigaretten sind für so was ganz schlecht. Der Gatte fühlt sich da doch sehr unter Druck gesetzt, es entwickelt sich Dauerstreit, man findet eine künstliche Lösung und das ist einerseits alles sehr vorhersehbar, aber auch sehr unterhaltsam. Und Akshay Kumar zeigt mal wieder, dass er der Beste und Unerschrockenste ist. Ich möchte behaupten, dass das hier die coolste ärztliche Samenprobeabgage der Filmgeschichte ist.

Nach der Pause wird es immer mehr ein anderer Film. Schuld daran ist ein dummes Spermadurcheinander. Oder Spermiendurcheinander. Wie sagt man? Bei einer In-Vitro-Befruchtung als letzter Ausweg wurde durch die Namensgleichheit zweier Ehepaare Batra der Samen verwechselt und daher die Damen falsch herum befruchtet. Daher kommt jetzt ein sehr enthemmtes Punjabi-Pärchen in Gestalt von Diljit Dosanjh und Kiara Advani mit ins Spiel, wobei ich bei diesem Ehepaar nicht begriffen habe, wie sie zu ihrem Geld gekommen sind. Aber wie dem auch sei: Die vier bilden ein amüsant harmonisierendes ungleiches Quartett, das den Film auch über die müderen Strecken zu schleppen weiß.

Trotz der konfus-absurden Voraussetzungen entwickelt sich die Story weder zu einer wilden Boulevard-Komödie noch zu einem echten Melodrama, aber auch keinem Mittelding daraus. Mit Hilfe von Versatzstücken aus Emotionen, Witzen und sehr ernsten Problemen wird es immer mehr zu einer Art Kulturfilm oder Aufklärungsfilm mit vielen Erklärungen und Diskussionen. Die Qualität des Films leider darunter, aber glücklicherweise wird alles zwischendurch mit genug Komik gewürzt. Die In-Vitro-Klinik, die Details von Schwangerschaft und davor, die Fruchtbarkeit im Alter und sonst auch so werden ausführlich und informativ behandelt. Es fehlt nur noch, dass der alleinstehende doppelte Adoptivvater Karan Johar als Volksaufklärer durchs Bild läuft und noch ein paar Dinge mehr erkläutert.

Dass der aufklärerische Inhalt im Mittelpunkt steht, sieht man übrigens auch an der fürchterlich enttäuschenden Musik in GOOD NEWWZ. Ein kreativer Gebrauch von Liedern wurde im Drehbuch nicht eingeplant. Jedes der Pärchen hat eine Party-Nummer. In einer Kneipe gibt es dann ein bisschen Bhangra mit Akshay und Diljit, was aber schnell abgebrochen wird, damit sich die beiden noch streiten können. Und dann hat man den Nachspann mit einer glamourösen Item-Nummer mit allen vier Stars versehen. Das wummert dumpf und glitzert bunt, aber, wie bei solchen Nummern üblich, ist man geistig schon auf dem Weg nach draußen oder aufs Klo. Ja, während des Films hat man wohl mal Lieder im Hintergrund gehört, aber ohne sie wirklich wahrzunehmen.

Donnerstag, 12. Dezember 2019

Ashutosh Gowarikers PANIPAT – Eine siegreiche Niederlage

Er hat so viel Kritik einstecken müssen für seine Leistung in Ashutosh Gowarikers neuem ausgezeichneten Historienfilm PANIPAT (2019), deshalb ganz deutlich gleich zu Anfang: Arjun Kapoor ist perfekt in der Hauptrolle als Maratha-Offizier Sadashiv Rao Bhau. Punkt. Ein Ausrufezeichen hat er nicht nötig. Arjun Kapoor ist kein übergroßer Hero-Typ, auf den ein Film sich einstellt. Daher ist PANIPAT kein Arjun-Kapoor-Film, sondern ganz und gar ein Gowariker-Film. Kapoor spielt sehr diszipliniert mit sehr viel Ruhe und ohne Verbissenheit einen Krieger, der einfach nur Krieger sein will und keine Ambitionen auf politische Macht hat. Bei der Verkörperung dieser Figur macht er nichts, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen, um demonstrativ seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Das passt zu einem Krieger, bei dem man das Gefühl hat, dass er seine Person am liebsten auslöschen möchte. Er will ja nicht einmal ein Privatleben. Doch Kriti Sanon als zukünftige Ehefrau kann ihm das ausreden.

PANIPAT ist ein nationaler, nationalistischer Film über die Maratha-Vorherrrschaft im 18.Jahrhundert, die zeitlich zwischen der der Mogulen und der der Briten lag, und die man hier als Vorläufer des späteren geeinten, unabhängigen Indien betrachtet. Herausgefordert wird diese Macht durch den Afghanen-Herrscher Ahmad Shah Abdali, gegen den es am 14. Januar 1761 bei Panipat zu einer großen Schlacht kommt, die verloren geht. Abdali kehrt danach nach Afghanistan zurück. Die brutalen Massaker der Afghanen nach der Schlacht lässt der Film weg. Sanjay Dutt spielt den afghanischen Eroberer voller düsterer, destruktiver, aber auch charismatischer Kriegslust.

Sadashiv Rao Bhau hingegen zeichnen Kraft und strategisches Denkvermögen aus, aber dann hat er auch etwas Schwerfälliges und besonders im Privaten etwas Unbeholfenes. Gleich in der Anfangsszene hat er keinen beeindruckenden spektakulären Hero-Eröffnungs-Auftritt, sondern schleicht sich in einer Schlacht bei Nacht praktisch durch die Hintertür hinein, indem menschliche Leitern die hohen Mauern einer Festung überwinden helfen. Außerdem bekommt man seine menschliche, aber auch klug vorausschauende Seite zu Gesicht: Er macht einen militärisch-strategisch brillanten Feind zum Verbündeten, gegen die Bedenken anderer.

PANIPAT lässt sich mit fast drei Stunden viel Zeit. Das ist angenehm. Gowariker gibt ein echtes Gefühl für diese umfangreiche Art von Feldzug, die man früher führte. Gerade die Details der strategischen Dinge, die die Kriegsführung betreffen, werden hier sehr detailliert gezeigt. Da geht es um Verhandlungen mit Fürstentümern, um das Organisatorische wie die ganz banalen, aber grundlegenden Fragen der Finanzen und der Verpflegung. Die Wirklichkeit als Material ist Gowarikers große Stärke. Immerhin hat er mit LAAGAN (2001) einen brillanten Welterfolg über einen Film voller Cricket-Regeln gemacht, was sich in der Theorie doch eher fluchtergreifend anhört. Oder der in KEHELIN HUM JEE JAAN SEY (2010) die genau rekonstruierten Umstände eines Aufstandes gegen die Briten darstellt. Wenn er sich der reinen Fantasie und Spekulation widmete, drehte er seine schwächsten Filme WHAT'S YOUR RAASHEE (2010) und MOHENJO DARO (2016).

Ein Historienfilm wie PANIPAT ist immer auch ein Film über die Gegenwart. Daher geht es, übrigens wie auch in dem Kangana-Ranaut-Film MANIKARNIKA (2019), um die Betonung der Einheit Indiens, die Ablehnung des Kommunalistischen, des Regionalistischen. Der Gegenwartsbezug trifft aber auch auf die schöne, jedoch angenehm nüchterne Liebesgeschichte zu, die auf Augenhöhe geschieht. Alles ist sehr praktisch, heiter, ohne Sentimentalität und künstliche Romantik, was bei diesem Krieger-Mann auch eher unpassend wäre. Und Kriti Sanon ist die ideale Ehefrau. Nehmen wir einfach mal an, dass in HOUSEFULL 4 (2019) nur ein digitaler Klon von ihr zu sehen war. In PANIPAT spielt sie die einfache Frau aus dem Volk, energisch und intelligent, und gar nicht verzärtelt. Sie ist tätig als Ärztin, begleitet den Ehemann in den Feldzug und im Notfall kann sie auch kämpfen. Dennoch weiß er hinterher zu schätzen, wie sie mit dem Zelt bunt schummerige Privatheit herstellt. Zum Schluss kommt es zur Vereinigung der Liebenden im Tod, denn wenn einer weiterlebt, ist es ein trauriges Ende, wenn beide sterben, ist es ja eine Art Happy End.

Natürlich ist PANIPAT ein Mainstream-Film mit Schauwerten, aber einer, der seine Hauptreize nicht aus sich verselbstständigenden visuellen Effekten nimmt. Das ist so sehr Standard geworden, vor allem in digitalen Zeiten, wo jeder idiotisch-überflüssige Effekt möglich ist, dass ich über PANIPAT das Wort „altmodisch“ gelesen habe. Eine, freundlich formuliert, seltsame und völlig nichtssagende Bezeichnung, wo Ashutosh Gowariker doch bloß auf fast alles Überflüssige verzichtet. Sein Stil liegt offen da. Flüssig erzählt er mit Hilfe eines prächtigen, schönen Bollywood-Realismus, was ein wirkliches Gefühl für die Zeit Mitte des 18. Jahrhunderts gibt. Das ist selten geworden. Und auch wenn ich großer Fan von Rajamouli und Bhansali bin, wird es problematisch, wenn die fantastische Epik des einen und die Monumental-Poesie des anderen zum erwarteten Standard werden. Der Oberflächen-Film KALANK (2019) beispielsweise hätte mehr nüchterne Wirklichkeit und weniger mechanische Bhansali-Nachahmung gebraucht, um zu berühren.

Die starken Szenen in PANIPAT entstehen allein aus der Handlung heraus. Etwa, wenn sich die beiden Todfeinde über den reißenden Jamuna mit dem Fernglas betrachten. Die Schlachtszenen sind ausgezeichnet und von großer Kraft. Obwohl auch ein Gowariker hier nicht auf einige zeitgemäße Standards verzichten darf. So gibt es, wie in MANIKARNIKA, die digitalen Aufnahmen einer Person in der Schlacht, die visuell hervorgehoben und in Zeitlupe ganz im Mittelpunkt eins wilden und eigentlich unübersichtlichen Geschehen steckt. Und noch mit etwas anderem steht Gowariker voll im Zeitgeschmack. Einmal mit dem Kampf gegen afghanische Eroberer aus dem Nordosten, was vermutlich immer auch ein bisschen eine modern zu verstehende Anspielung auf Pakistan ist. Und dann, wie in KESARI (2019) oder MANIKARNIKA, mit der Glorifizierung von militärischen Niederlagen, die zumindest in der Fiktion und im Mythos über sich hinausweisen, in die Zukunft strahlen und der Beginn eines Sieges auf lange Sicht sind.