MUSAFIR (1957)
präsentiert eine kleine Starparade des Goldenen Zeitalters des
Hindi-Kinos. Zuerst ist da der große bengalische Star Suchitra Sen
als Braut mit Sehnsucht nach Schwiegereltern, vor denen deren Sohn
aber leider etwas Angst hat. Ihre Schwiegermutter wird gespielt von
Durga Khote, einem großen Star der 30er. Dann ist da Kishore Kumar
in einer für ihn ansonsten ungewöhnlich ernsten Rolle. Dilip
Kumar ist traurig und totkrank und trinkt zu viel und noch mehr als
in DEVDAS (1955) stirbt er hier so still und schön, dass man direkt
mitsterben möchte. Und sogar zwei der wichtigsten Kinderstars
kann man sich hier ansehen: Baby Naaz und Daisy Irani, die man mit
ihrem lockigen Kopf oft als Jungen besetzte, was den
Niedlichkeitsfaktor erhöhen sollte. Nur
erlebt man sie alle leider nicht gemeinsam. Der „Multistarrer“
kam erst in den 60ern: MUSAFIR ist ein episodischer Film um drei
Vermietungen eines Hauses, dessen Besitzer die einzelnen Teile
verbindet und der von David Abraham verkörpert wird.
MUSAFIR ist das
Regiedebüt von Hrishikesh Mukherjee, von dem auch heute noch
allseits beliebte Klassiker wie GUDDI (1971), ANAND (1971) oder die
Komödien GOL MAAL (1979) und CHUPKE CHUPKE (1975) stammen. Zuvor
hatte er beim legendären Studio New Theatres als Cutter gearbeitet.
Er gehörte dann zu der Gruppe, die gemeinsam mit dem bengalischen
Erfolgsregisseur Bimal Roy um 1950 von Kalkutta nach Bombay ging und
erheblichen Einfluss auf Inhalt und Ästhetik des Hindi-Kinos nahm,
das seine außergewöhnliche Golden Age“-Qualität überhaupt einer
bedeutenden bengalischen Note verdankt, die es beispielsweise auch
bei zwei anderen Größen, Raj Kapoor und Guru Dutt, gibt.
MUSAFIR ist ein
interessanter Fall. Man spürt noch den großen Einfluss von Bimal
Roy, und das sicher nicht nur, weil Mukherjee Roys Drehbuchautor und Cutter war,
aber gleichzeitig trägt der Film im Hinblick auf das kommende Werk
unverkennbar persönliche Züge. Man denkt zunächst unweigerlich an
vergleichbare Bimal-Roy-Filme und Szenen daraus. Kishore Kumar
wiederholt beispielsweise in der zweiten Episode im Grunde seine
Rolle aus Roys NAUKRI (1954), wo er einen jungen Mann mit
Collegeabschluss spielt, der voller naiver Zuversicht in der großen Stadt
einen Job suchen geht und auf die grausame Wirklichkeit stößt,
woraufhin er Selbstmord begehen will, aber von seiner Freundin davon
abgehalten wird, woraufhin die beiden in eine unsichere Zukunft
wandern. Bei Mukherjee wird eine ähnliche Konstellation märchenhaft-komödiantisch
aufgelöst: Kumar versucht es mit Selbstmord, aber da zu der Zeit in Indien
nicht nur Ghee und andere Lebensmittel oft gepanscht und verfälscht waren,
endet es nicht so tragisch und es kommt sogar ein finanzielles Happy
End. In der dritten Episode spielt Dilip Kumar einen trinkenden
Sterbenden, sodass man zunächst an Roys DEVDAS (1955) denkt, aber
mit der Zeit bekommt alles eine Poesie und melancholisch-stille Zuversicht, dass
man nach vorne zu Mukherjees Film ANAND guckt, wo Rajesh Khanna einen
lächelnden, sterbenden Krebskranken spielt. Es ist im Endeffekt
tatsächlich ganz allein Mukherjees Sicht der Dinge. Mitgeschrieben
an MUSAFIR hat übrigens eine andere spätere bengalische
Regielegende, Ritwik Ghatak, wobei ich aber leider keine näheren
Informationen über den praktischen Anteil seiner Mitarbeit habe.
Wie
man es von einem ausgezeichneten Cutter und Drehbuchautor vielleicht
erwarten kann, hat der Film einen sehr strengen Aufbau und ist sehr
präzise gefilmt. Auf zwei Familien-Melodramen, die einen Schwenk ins
Heitere bekommen, folgt eine märchenhaft endende Tragödie. Und
trotz all der Probleme, trotz sozialer Schwierigkeiten, Themen wie
Selbstmord und Krankheit, bleibt es harmonisch. Es beginnt mit
einem großen Schwenk über die Stadt, begleitet von einem Sprecher –
Balraj Sahni – aus dem Off, und bleibt an dem Haus hängen,
das ein Beispiel, ein Modell für das Leben und seine Wechselfälle
an sich ist. Betont werden gewisse Parallelen in den drei Geschichten
durch einige Details wie der Besuch einer Nachbarin, der nächtliche
Blick aus dem Fenster, das von einem Vormieter liegengebliebene Heft
für Kinder oder das Warten auf einen Brief. Oder das „to
let“-Schild, das unter dem Dach hängt und mit dem Stock jedes Mal
in die entsprechende Position gebracht wird. Durch einen Trick ist
Musik allgegenwärtig, ohne zu viele Song-Unterbrechungen zu
erfordern, denn zwei konkurrierende Hotel-Restaurants der
Nachbarschaft arbeiten mit Sängern, die ständig im Hintergrund zu
hören sind. Eine schöne direkte Musiknummer gibt es von Kishore Kumar.
Schönster poetischer Moment ist aber der, als der Bräutigam
Suchitra Sens Gesicht mit einer Kerze ausleuchtet und sie sich ganz
langsam und etwas scheu und widerstrebend dem Licht und damit ja auch
der Kamera öffnet.