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Dienstag, 31. März 2020

PROFESSOR SHONKU O EL DORADO – Kugelblitz und Wundersalbe



Sandip Rays bengalischen Film PROFESSOR SHONKU O EL DORADO (2019) bei Amazon Prime zu entdecken, fühlte sich ein bisschen wie ein verspätetes Weihnachtsgeschenk an, denn Ende letzten Jahres lief der Film regulär in den bengalischen Kinos. Dass er auf amazon.com schon seit Februar abrufbar ist, ohne dass ich es bemerkt habe, obwohl ich regelmäßig auch nach neuen bengalischen Filmen schaue, zeigt, nebenbei gesagt, was für ein unsortierter Ramschladen das moderne Streaming-Wesen ist. Aber wie dem auch sei, es war einfach eine reine Freude, die literarische Professor-Shonku-Welt des 1992 verstorbenen Satyajit Ray, der ja nicht nur der bekannteste und bedeutendste bengalische Filmregisseur überhaupt ist, sondern auch äußerst populäre Geschichten für Kinder und Jugendliche geschrieben hat, zum ersten Mal als Realverfilmung sehen zu dürfen. Zum Vergleich: Der erste Kinoauftritt von Satyajit Rays Detektivfigur Feluda war schon im Jahre 1974 in SONAR KELLA, und bei dem Werk hat der Meister selbst Regie geführt. Da hatte es für mich also zunächst mal gar nicht so viel Bedeutung, wie gut oder nicht gut dieser neue Film ist.

Satyajit Rays Sohn Sandip Ray ist der Regisseur von PROFESSOR SHONKU O EL DORADO. In den letzten Jahren hatte der sich ganz auf die Inszenierung von Kriminalfilmen mit Feluda konzentriert. Hier wie dort hält er sich eng an die Vorlage, hatte hier aber ein Problem zu lösen, das ihm der Vater indirekt hinterlassen hat. Während es sich bei den Feluda-Krimis um mehr oder weniger lange Romane handelt, mit genügend Stoff und Details für einen Langfilm, sind die Geschichten um den in der bengalischen Provinz lebenden, genialen Wissenschaftler und Erfinder Professor Trilokeshwar Shonku bloß Kurzgeschichten, sodass man entweder Neues erfinden oder Verschiedenes aus den Storys kombinieren muss, damit es reicht für einen Spielfilm. Daher erkennt man als Shonku-Leser in PROFESSOR SHONKU O EL DORADO zwar die einzelnen Teile wieder, aber nicht die Art und Weise, wie sie verknüpft sind.

Es beginnt im Jahre 2019 in Kolkata mit Shonkus Tagebuch, das ein Mann an einen Zeitungsredakteur verkauft. Dieses wurde in der Einschlagstelle eines Meteoriten gefunden und ist nicht aus gewöhnlichem Papier und auch die ständig ihre Farbe wechselnde Tinte ist nicht von dieser Erde. Der Zeitungsmensch beginnt zu lesen, Rückblende ins Jahr 2016: Rein optisch ist hier alles perfekt. Das Anwesen in Giridih, der Kater Newton, selbst der heutzutage wie ein altmodisches „Robbi-Tobbi-und-das Fliewatüüt“-Relikt anmutende Roboter ist zu sehen, auch wenn er deaktiviert in der Ecke steht. Was zu einem weiteren Problem einer heutzutage spielenden Shonku-Verfilmung führt. Während Krimis meist sehr allgemeingültig sind und ein paar Modifikationen für zeitgemäße Zusammenhänge genügen, veraltet Science-Fiction schnell, ebenso wie der erwähnte Roboter. Sandip Ray entschied sich für eine Modernisierung, ohne diesen Hauch von Altmodischem, Traditionellem aufzugeben. Vor allem die Digitalisierung hat er selbstverständlich einführen müssen. Folglich hat das Hologrammtelefon, das einer großväterlichen Taschenuhr entspringt, eine klassische Wählscheibe und keine Tasten. Und es gibt die große Betonung des Handwerklichen, also dass nur Shonku alleine seine Erfindungen bauen kann und dass sie nicht industriell im Massenbetrieb angefertigt werden können. Shonku ist eben auch ein bisschen ein Selbstporträt Satyajit Rays, der bekanntlich ebenfalls alles selbst gemacht hat bei seinen Filmen. Selbst die Kamera hat er mit eigener Hand geführt.

Bei der von Dhritiman Chatterjee dargestellten Hauptfigur des Professor Shonku hat man sich für unbeirrbare Ernsthaftigkeit entschieden. Hier gibt es keine Spur von akademischer Zerstreutheit oder von einem lustig verwirrt-verrückten Wissenschaftler. Für subtil-skurrilen Humor sorgt daher die Figur des Nakur Babu, gespielt von Subhasish Mukerjee, der durch die zu große Nähe zu einem sich entladenden Kugelblitz hellseherische Fähigkeiten bekommen hat und der nun als Sekretär mit dem Professor auf eine Konferenzreise nach Brasilien fährt, wo einige Gefahren und Abenteuer lauern. Dazu eingeladen wurde Shonku aufgrund der aufsehenerweckenden Veröffentlichung eines Artikel von ihm im schwedischen naturwissenschaftlichen Magazin „Cosmos“. In dem Artikel hat Shonku zum ersten Mal alle seine Erfindungen wie die Annihilationspistole oder die sofort wirkende Wundersalbe vorgestellt. In Brasilien trifft er auch auf seine beiden Freunde und Wissenschaftler-Kollegen Jeremy und Wihelm, übrigens, wie der Name ahnen lässt, ein Deutscher, für dessen Darstellung man doch wirklich einen echten Deutschen hätte nehmen können. Jeder Deutschsprachige bekommt für ein paar Sekunden Magenstechen, wenn der Darsteller einen deutschen Satz radebrecht, als wollte er etwas aus sich herauswürgen.

Mir hat PROFESSOR SHONKU O EL DORADO mit seinen Ideen, seiner Story, seinen exotischen Drehorten und seinen Darstellern Spaß gemacht, aber ich weiß nicht, ob Menschen ohne jede Kenntnis der Vorlagen diesen nachvollziehen können. Denn zugegebenermaßen, im Ganzen ist es leider ein etwas gebremstes Vergnügen, auch wenn der Film kurzweilig zu gucken ist, aber irgendwie wird der Ton der Geschichten nicht ganz genau getroffen. Man spürt die Ehrfurcht vor der Vorlage, die Vorsicht, mit der zu Werke gegangen worden ist. Was man verstehen kann. Immerhin ist Shonku eine bengalische Kultur-Ikone, und da ist Vorsicht allein schon angesagt angesichts all der Shonku-Fans, denen man es nur schwer recht machen kann. Na ja, ich bin ja auch schon am Meckern. Auf jeden Fall hoffe ich, dass der Film erfolgreich genug war, um ein zweites Abenteuer finanzieren zu können.

Der Tag, an dem ich PROFESSOR SHONKU sah, war übrigens überhaupt mein bengalischer Tag. Neben Bo van der Werfs Doku SATYAJIT RAY NEGATIVES (2006) über Satyajit Rays Standfotografen Nemai Ghosh habe ich auch noch einen Film mit einer anderen bengalischen Ikone gesehen: BYOMKESH PAWRBU (2016) mit Saradindu Bandyopadhyays klassischer Detektiv-Figur Byomkesh Bakshi, der sich selbst aber eher als Wahrheitssucher betrachtet. Es gibt sogar eine konkrete Verbindung zwischen beiden Filmen: Subhasish Mukerjee, der Nakur Babu aus dem Shonku-Film, spielt hier auch mit, gehört zum Kreis der Verdächtigen um illegalen Waffenschmuggel im Dschungel. Auch hier gibt es keine große Modernisierung, außer vielleicht zwei Hero-Prügeleien, eine mit einem Satz, der direkt aus einem Salman-Khan-Film stammen könnte. Aber sonst ist es ein Film mit schöner Atmosphäre, schönem Rhythmus und guten Darstellern. Sogar Rabindranath Tagore wird hier während des Nachspanns rezitiert. Es war also ein guter bengalischer Tag.

[Auf meinem Bücher-Blog "Die Bücher meiner Vergangenheit" gibt es einen allgemeineren Artikel über Professor Shonku und Satyajit Rays Vorliebe für Science-Fiction: Link]