Hansal Mehtas OMERTÀ (2017) ist eine Art Gegenstück zu seinem vier Jahre vorher entstandenen SHAHID (2013). Beide Filme beruhen auf Tatsachen, sind frei biografisch, und in beiden Filmen spielt Rajkummar Rao die zentrale Hauptrolle. Ging es aber in SHAHID um unschuldig des Terrorismus Angeklagte, die trotz fehlender Beweise oft jahrelang im Gefängnis sitzen, befasst sich OMERTÀ mit der echten Ware. Im Mittelpunkt steht der Aufstieg einer zentralen Figur des internationalen Terrors, des Briten Omar Saeed Sheikh, eines Gewaltverbrechers voller Fanatismus und Sadismus. Mehta liefert hier, wie in SHAHID, eine dramaturgisch verdichtete Interpretation der Ereignisse, die sich nicht zurückhält in ihrer ungeschminkten Porträtierung. Und es geht um mehr. In den immerhin nur 100 Minuten langen Film werden mehrere Dinge gleichzeitig erzählt, die sich überschneiden, ergänzen, ineinander übergehen. Und so ist OMERTÀ ein sehr reicher, dicht inszenierter, sowohl spannender als auch aufschlussreicher Film, der sich nicht mit der Außenperspektive einer rein biografischen Erzählung zufrieden gibt.
Zunächst einmal geht es um die Radikalisierung eines jungen Briten, der sich auf fast schon masochistische Art und Weise mit Schreckensbildern von serbischen Massakern an Bosniern aus dem Jugoslawienkrieg selbst radikalisiert. Nachgeholfen wird vom Imam in der heimischen Moschee, was daran erinnert, dass man immer wachsam sein muss. Und so beginnt die Terrorkarriere, von der Ausbildung hin zur Praxis. Bemerkenswert ist das gute Funktionieren des internationalen Netzwerks des Terrors.
Aber OMERTÀ ist auch eine Erfolgsgeschichte, eine echte „success story“. Man sieht Omar in seiner ersten großen Aktion, der Entführung von Amerikanern in Neu-Delhi, in dessen reges Straßenleben er sich chamäleongleich einfügt. Mit kaltblütigem Charme macht er sich Freunde bei dummen, vertrauens- und bierseligen Westlern, die auf ein bisschen Nettigkeit hereinfallen. Es folgt seine Verhaftung und die Freipressung aus dem Gefängnis nach einer Flugzeugentführung. Dann ist Omar beteiligt an der Entführung des Journalisten Daniel Pearl, den er eigenhändig köpft. Vollendet ist der Aufstieg in Pakistan. Eine zünftige Heirat folgt. Und plötzlich ist er bürgerlich arriviert, da, wo er hergekommen ist. Das ist es, was er wollte. An die Spitze des Terrors. Fast noch mehr als islamischer Terrorist, ist er ein bourgeoiser Karrierist.
OMERTA ist eben auch das subtile Porträt eines Machtgierigen, eines Gestörten, eines Sadisten. Da gibt es zwei sehr aufschlussreiche Szenen. Einmal das Verprügeln eines Terroristen-Kollegen, der sich über den verwöhnten britischen Mittelklasse-Bubi lustig macht. Um Omars Lippen spielt hinterher ein befriedigtes, zufriedenes Lächeln. Und dann die Ermordung und das Köpfen von Daniel Pearl in reiner Ekstase, das wieder dieses glückliche, direkt erotisch aufgeladene sadistische Lächeln erzeugt. Mehta erfasst das Wesen des Terroristen und seiner zwangsläufigen Entmenschlichung und inneren Leere. Es gibt auch Archivaufnahmen des echten Omar Sheikh. Rajkummar Rao hat es gut studiert, dieses perverse, gottverlassene Lächeln. Rao erfasst Omar überhaupt ausgezeichnet in seiner Doppelgesichtigkeit, dem scheinbaren Charme und der totalen inneren Kälte, die dieser sich bewusst erarbeitet hat.
OMERTÀ ist nebenbei auch das Porträt eines Staates, dem man besser nicht über den Weg traut. Pakistans Geheimdienst ISI ist in OMERTÀ an allem beteiligt, was in der Region passiert. Sie können Omar als gebildeten Briten gut gebrauchen, auch als Symbolfigur. 2020 wurde übrigens die Verurteilung wegen Mordes gegen Omar Sheikh und seine Gehilfen durch den pakistanischen Supreme Court wieder rückgängig gemacht. Die Berufung läuft aber noch.