Gehortetes, an der Steuer
vorbei in heimische Kammern und Verstecke, Säulen und doppelte Fußböden umgeleitetes Schwarzgeld
ist Gift für die Wirtschaft. Nicht nur fehlt dem Staat das Geld, es
ist auch dem Kreislauf entzogen. Der Kampf in Form von
Hausdurchsuchungen bei Reichen mit seltsam niedrigem Steueraufkommen ist also ein patriotischer Akt für den Staat, ja
für das ganze Volk, dem man das Geld geraubt hat. Davon ist der
unbestechliche Einkommenssteuerbeamte Amay Patnaik in Raj Kumar
Guptas RAID (2018), der im Jahr 1981 spielt, überzeugt. Zwar hat Amay die bewaffnete
Staatsmacht hinter sich, aber seine entscheidende persönliche Waffe ist
seine Korrektheit, seine strenge Beachtung der Regeln. Und wenn es in
einem Club verboten ist, Sandalen zu tragen, dann geht er so auch
nicht hinein, selbst wenn die wichtigen Männer der Stadt ihn dazu
drängen. Er trinkt mit den Reichen nur den billigsten Whiskey, damit
er es selbst bezahlen kann. Beamte lassen sich eben nichts schenken.
Im Idealfall, und er ist so einer.
Daher hat Amay im
Gegensatz zu vielen seiner Kollegen auch keine Besitztümer. Leere
Schränke würden das ständige Umziehen ja auch erleichtern, stellt
ironisch seine Frau fest. Denn in 7 Jahren ist der unbequeme Beamte
49 mal versetzt worden. Zu Anfang des Films hat ihn seine
Unbeugsamkeit diesmal nach Lucknow gebracht. Ajay Devgn, sonst oft
ein Actionheld, spielt diesen friedlichen Beamten mit sanfter
Geradlinigkeit und entschlossener Souveränität. Er wird nicht laut und zeigt ohne
Pathos die Opferbereitschaft, bei der Sicherung von Beweismitteln
notfalls zu sterben. Er ist ein selbstverständlicher Held, der
einfach seinem Beamteneid folgt. Sein Wort zu halten, das
unterscheide den Menschen vom Tier. Das ist Amays Credo. Dahinter
steckt natürlich die Erkenntnis, dass wir uns alle immer nur einen
Schritt entfernt von der Barbarei befinden. Und die bricht am Ende
des Films auch aus.
Amay ist an Information
über im Haus verstecktes Schwarzgeld des wichtigsten Bürgers der
Stadt, genannt „Tauji“, gelangt. Es geht hier um einen angesehenen
Politiker, langjähriges Mitglied des Parlaments, und erfolgreichen
Geschäftsmann, der mit Großfamilie in einem palastartigen Haus
wohnt. Amay studiert Akten, rechnet und kommt auf 4,2 Billionen
Rupien, die zu finden sein müssten. Er geht das hohe Risiko ein. Und nun handelt der Film von
fast nichts anderem als dieser einen, sich über drei Tage hinziehenden Hausdurchsuchung. Ganz
detailliert wird sie gezeigt, in all ihren formalen Vorgängen. Wie
der Beamte mit seiner großen Gruppe von Mitarbeitern nach und nach
ins Zentrum des Hauses vordringt und man dann überallhin ausschwärmt
und das Haus auf den Kopf stellen. Und während man erst nichts
findet, nimmt es hinterher groteske Züge an, wenn weit mehr Schätze
auftauchen als berechnet. Das ist die materielle Seite, die reine
Schatzsuche.
Dann ist da die
menschliche Seite der Geschichte. Denn der Film taucht auch tief
hinab in die Abgründe der Gier. Da sind zum einen die Konflikte
Amays mit den wütenden Hausbewohnern, allen voran natürlich Tauji selbst. Aber als erst einmal die geheimen Verstecke entdeckt
werden, kommt es auch zu Konflikten innerhalb der Familie. Jeder hat
heimlich in einer architektonischen Verbesserung des Hauses seine eigenen
Schätze untergebracht. Und schließlich führt der Film die
politische Seite vor. Dafür lässt das Drehbuch den Beamten fast einen
Fehler machen, indem es Tauji losziehen lässt, damit dieser direkt erlebt, dass die
Hausdurchsuchung trotz seiner Beziehungen nicht zu stoppen ist. Und tatsächlich. Nach und
nach dringt der Politiker zwar bis zur Premierministerin vor, aber alles
erfolglos. Der Film zeigt ein System in seinem Versagen und seinem
Funktionieren, vorausgesetzt man hält sich an die Regeln.
Das Drehbuch zu RAID ist
von Ritesh Shah, der zuletzt den heroischen Rettungsfilm AIRLIFT (2017) und
das Gerichtsdrama PINK (2016) geschrieben hat. PINK ist angesichts des wichtigen Themas der Vergewaltigung ein etwas überdeutlicher Thesen- und
Diskussionsfilm ist. Und auch wenn in der Story und in den Dialogen von
RAID manchmal diese Gefahr besteht, lässt Raj Kumar Gupta die kalkulierten
Zahnräder der Drehbuchmechanismen ganz weich ineinander übergehen und die einzelnen
Bereiche, die vielen kleinen Handlungen, Dialoge,
Auseinandersetzungen sich auf ganz natürliche, fließende Weise
durch Kamera, Schnitt, Bewegung im Bild verbinden. Kumar schafft
eine sehr ruhige, nie mit künstlicher Spannung angeheizte
Atmosphäre. Manchmal sehen wir Amay auch nur beim Denken zu, wie er
den Raum um sich herum geistig untersucht, prüft. Diese solide
Grundlage des Drehbuchs erlaubte Gupta, seinen bisher besten, visuell
sichersten und damit, so habe ich das Gefühl, auch persönlichsten
Film zu drehen. Aber erst, wenn ich endlich den dritten seiner inzwischen vier Filme, GHANCHAKKAR (2013), gesehen habe, lege ich mich da endgültiger fest. Der Terroristenfilm AAMIR (2008) ist eine einsam-paranoide Erforschung des echten Mumbais auch in seinen düsteren Ecken und der Zivilcourage-Thriller NOBODY KILLED JESSICA (2011) hat wie RAID einen wahren Fall als Grundlage.
Biedermann und Bösewicht Tauji ist übrigens ein
Mann, dem alles entgleitet, ein Mann, der alle Sicherheiten verliert.
Er fällt, weil er sich der Loyalität seiner privaten und seiner
politischen Familie zu sicher war. Das ist die Hybris des Bösen. Und
da wäre die deutlich angesprochene mythologische Dimension gar nicht
nötig gewesen. Doch die Parallele wird direkt gezogen zum Kampf vom
bösen Dämon Ravana gegen den edlen König Rama, zum Überlaufen von
Ravanas Bruder Vibishana, der sich auf die Seite Ramas stellt, und
zur Bedrohung von Ramas Frau Sita durch den Dämon, auch wenn im Film
keine Entführung stattfindet. Deshalb wird die
mustergültige Ehe des Beamten so sehr betont, die als Stütze und geistige Rückendeckung eminent wichtig
für ihn ist. Schließlich kann seine Arbeit lebensgefährlich sein.
Dafür sorgt am Ende Tauji als passiver, besoffener, armseliger Dämon, der nur noch seine
herbeigerufene Meute Gewalt ausüben lassen kann. Der Film beruht
übrigens auf Tatsachen. Erst vor gar nicht langer Zeit wurde die
Identität der gerechten Verräterin im Hause des Politikers
öffentlich gemacht, weil sie gestorben ist. Getreu seinem
Versprechen hat der echte Beamte so lange geschwiegen, und im Film
verrät er es nicht mal seiner Frau. Man könnte sich vorstellen, in
Wirklichkeit auch. Und abschließend frage ich mich, ob mir nicht
doch noch ein weiterer Film einfällt, der von fast nichts anderem als
einer Hausduchsuchung handelt ...