In der Mitte des Films KESARI
(2019) gibt es eine schöne Szene: Gerade sind mehr als 10.000
afghanische Krieger vor der kleinen, schwach besetzten Grenzfestung
Saragarhi aufgetaucht, in der Havildar Ishar Singh, befehlshabender
Sikh-Sergeant der indisch-britischen Armee nur 20 Sikh-Soldaten und
einen Koch unter sich hat. In wenigen Augenblicken wird eine mehrere
Stunden andauernde, heftige Schlacht folgen, durch die dieser kleine Teil des
36. Sikh-Regiments den Gegner davon abhalten will, die beiden größeren
Forts in der Gegend anzugreifen und einzunehmen. Ein paar rhythmisch schlagende
Trommler der Afghanen sollen die Übermacht in Stimmung bringen,
sollen auf die schnelle und zügige Zerstörung des so sehr
unterlegenen Feindes einschwören. Da taucht Akshay Kumar als
Havildar Singh an den Zinnen der Festung auf und schlägt auf einer
Dhol punjabische Tanzrhythmen, die die stumpfsinnigen Kriegstrommler
aus dem Takt und schließlich zum Verstummen bringen. Dass er
überhaupt gehört wird, könnte mit dem Echo zusammenhängen. Aber
natürlich ist es vor allem magisch, magisch wie die Tatsache, dass
diese 21 Mann so lange, bis zum eigenen Tod, dem Gegner standhalten werden, weshalb die großflächigen Angriffspläne des Feindes scheiterten an
diesem 12.September 1897. Denn der Film beruht auf historischen
Ereignissen.
Die Schlacht von Saragarhi (Demi Public Domain Map Server)
Diese Trommel-Szene steht
für zwei Dinge: Erstens, dass es Akshay Kumar ist, der in diesem
Film den Takt, den Rhythmus, die Stimmung bestimmt. Er ist die
Batterie des Films, in dem er sich trotz der einfachen und
eingeschränkten Handlung von verschiedenen Seiten zeigen darf. Damit
auch die emotionale Seite zum Tragen kommt, hat er sogar Phantasien
von der Anwesenheit seiner Ehefrau, was ein paar Gastauftritte, inklusive romantischen Liebesliedes,
von Parineeti Chopra mit sich führt. Akshay Kumar ist nun mal der
Meister des Film-Patriotismus, der Mann mit der Militär-Glaubwürdigkeit,
und wenn man die bisherigen Einspielergebnisse dieses Blockbusters sieht, dann
haben auch seine Annahme der kanadischen Staatsbürgerschaft und die
Tatsache, dass er in Kanada öffentlich Toronto als sein Zuhause –
„home“ – bezeichnet hat, wo er nach Ende seiner Karriere
hinziehen wird, keine Auswirkungen gehabt. Aber solche Dinge gehen
sowieso nur die Inder etwas an, denn ansonsten ist er von allen Stars
seiner Generation der vielseitigste, dem sogar das Altern gut zu tun
scheint.
Zweitens zeigt die
Trommel-Szene, wie sehr man sich vom reinen stumpfen Befehlsgehorsam
absetzen will. Es geht um Individualität gegen stumpfe Einheit,
Demokratie gegen Diktatur. Im Film ist es eine freie Entscheidung
jedes einzelnen indischen Soldaten zu bleiben und zu kämpfen. Dafür
sorgt Havildar Singh im geschickten Umgang mit seinen Männern, die er
in kurzer Zeit von einem disziplinlosen Haufen zu einer engen
Gemeinschaft geführt hat. Das geschieht auch mit ein bisschen Komödie. So lernt der Zuschauer die Männer, die bald sterben werden, etwas kennen. Die Gründe für die Aufopferung sind
sowohl praktisch-miliärischer Natur als auch persönlicher. Ein
britischer Offizier hatte die indischen Soldaten als feige
bezeichnet. Und im Hintergrund lebt die Hoffnung auf Befreiung von
Fremdherrschaft. Es gab übrigens letztes Jahr schon einen Film über
Sikh-Soldaten in der britischen Armee. In dem regionalen Punjab-Film
SAJJAN SINGH RANGROOT (2018) kämpfen sie während des ersten
Weltkrieges in Europa auf Seiten der Briten gegen Deutschland. Auch hier wird das Kriegführen für den Kolonisator mit
dem Kampf um eigenes Selbstbewusstsein, um staatliche Unabhängigkeit
verbunden.
Dass der Film so ein
Erfolg ist, liegt vor allem an Akshay Kumars subtiler darstellerischer
Energieleistung, der nicht nur den wild und leidenschaftlich
kämpfenden Helden spielt. Er ist auch ein unangepasster, stolzer
Mann, der Probleme mit Vorgesetzten und Befehlen hat, die ihm falsch
erscheinen. Aber vermutlich trifft KESARI auch einen gewissen Nerv.
Denn gerade in historischen Filmen dieser Art ist die Vergangenheit
immer auch die Gegenwart. Und wenn die Bedrohung aus dem Westen und
Nordwesten kommt, wenn moslemische Krieger mit dem Dschihad
angestachelt werden, dann denkt man natürlich an Indiens Konflikt
mit Pakistan, das Terroristen Unterkunft gewährt und sie unterstützt.
Gleichzeitig muss das friedliche Zusammenleben im eigenen Land
gefördert werden. Und so bauen die Sikh-Soldaten im nahe gelegenen
Dorf eine Moschee. Der Film ist direkt mathematisch präzise darin,
die Dinge im Gleichgewicht zu halten, keine gefährlichen Emotionen zu
schüren. Der größte Feind sind der Hassprediger und sein
militärischer Verbündeter, hinterhältige und bösartige
Ausgeburten aus der Hölle. Aber auch hier schafft man ein
Gegengewicht mit einem anderen afghanischen Heerführer, der sich
beklagt, dass Gott als Waffe benutzt wird und der dafür sorgt, dass
die Turbane der toten Sikh-Soldaten unberührt bleiben. Natürlich
geht so eine penible Ausgewogenheit auf Kosten eines natürlichen
Fließens der Handlung, die etwas vorhersehbar wirkt. Man spürt dann
einfach die bewusste Konstruktion.
Durch viele kleine
Details verstärkt KESARI diesen modernen Eindruck. Da ist ein dunkel
gekleideter afghanischer Scharfschütze, wie importiert aus Clint
Eastwoods AMERICAN SNIPER (2014), übrigens sehr feminin wirkend.
Was immer Produzent Karan Johar uns damit sagen will … Havildar
Singh baut während der Schlacht mal eben ein Zielfernrohr an sein
Gewehr. Und wenn ein Soldat zwei Gewehre gleichzeitig abschießt,
steht er da in Rambo-Pose. Fehlen nur noch die MGs. Und dann werden
auch noch zwei Afghanen, die heimlich Sprengstoff an der Außenmauer
der Festung zünden wollten, bombenbeladen in die eigenen Reihen
zurückgeschickt, wo sie als echte Selbstmordattentäter in die Luft
gehen.
Alls dies geschieht
eingebettet in epische Bilder von der Weite der Grenzregion mit Sand
und Stein und Bergen. Die Schlachtszenen stimmen im Kern vollständig
mit den historischen Berichten überein und sind gewaltig, teilweise überwältigend wild anzuschauen. Sie sind dabei zwangsläufig
sehr gewalttätig, auch wenn in einer Dharma-Produktion selbst der
Krieg noch schön anzugucken ist. Und natürlich wirkt alles
überlebensgroß. Havildar Singh hat in Akshay Kumars Darstellung etwas
von einem Superhelden, der auch gleich am Anfang des Films eine junge
Frau aus den Klauen des Hasspredigers rettet. Alles
ist schön und spannend anzugucken, kurzweilig, aber schließlich
fehlen die letzten Emotionen. Es bleibt eine gewisse Distanz, die am
Ende keine echte unsentimentale, feierliche Tragik in diesem „Ruhm in der
Niederlage“ erlaubt. Vielleicht sind die Helden doch ein bisschen
zu perfekt. Ich habe irgendwo gelesen, dass dieser Havildar Singh
illegalen Alkohol hergestellt hat. Das macht ihn mir persönlich
natürlich zwar noch sympathischer. Aber das hätte vielleicht am Lack des reinen
indischen Helden gekratzt. Übrigens ist
das wenig abwechslungsreiche monochrome Ocker des ganzen Films auf Dauer etwas penetrant. Da
hat man es sich mit dem Licht und der Farbgebung doch ein bisschen
leicht gemacht. Es gibt zu demselben Thema die Netflix-Serie 21
SARFAROSH SARAGARHI 1897 (2018), zu der ich leider nichts sagen kann,
aber der Trailer macht den Eindruck einer ruhigen und realistischen
Wiedergabe und Interpretation der Ereignisse.
Saragarhi Memorial Ferozepur (Author: RameshSharma1)