Kurz bevor er seine
Indienreise antrat, twitterte US-Präsident Trump „great“, als
ein US-Aktivist begeistert die Existenz der Familienkomödie SHUBH
MANGAL ZYADA SAAVDHAN (2020) pries, in dem ein schwules Pärchen um
Anerkennung und Verständnis innerhalb der Familie von einem der
beiden kämpft. Hauptdarsteller Ayushmann Khurrana twitterte darauf
wiederum: „Es war toll, eine Reaktion von US-Präsident Trump zu
sehen. Ich hoffe und wünsche aufrichtig, dass dieser Kommentar
Präsident Trumps Geste der Annäherung an die LGBTQ-Gemeinschaft ist
und dass er fortdauernd und konstant daran arbeiten wird, die
LGBTQ-Rechte aufrechtzuerhalten.“
Was ich damit sagen will:
Thema, Inhalt, Botschaft sind zunächst einmal das Wichtigste an
SHUBH MANGAL ZYADA SAAVDHAN, geschrieben und inszeniert von Hitesh
Kiwalya. Schließlich ist der Film der erste dieser direkten Art ohne Umschweife.
2008 verpackte Produzent Karan Johar das Thema noch in die
Pseudo-Schwulenkomödie DOSTANA (2008) mit John Abraham und Abhishek
Bachchan als unechtes Pärchen, die aber einfach gerne bei Priyanka
Chopra einziehen wollen. In Shakun Batras KAPOOR & SONS (2014)
geht es auch um ein Coming-out. Und dann fallen mir noch zwei sehr
ernsthafte Filme ein: Hansal Mehtals ALIGARH (2015) über einen
Uni-Professor, der in den Selbstmord getrieben wird. Und vorher war
da noch Karan Johars Beitrag zu dem Episodenfilm BOMBAY TALKIES
(2013) über ein Ehepaar, bei dem es einfach nicht läuft im Bett.
Der Film zeigt, wohin das Verbot gleichgeschlechtlicher Liebe durch
§377 führte: zu frigiden Beziehungen mit Männern, die sich in der
Ehe verstecken oder von ihrer Familie in der Ehe versteckt werden.
Das Prinzip von SHUBH
MANGAL ZYADA SAAVDHAN ist einfach: Man integriert das Thema in die
klassische, allseits vertraute Hochzeits-Familienkomödie. Und da
gibt es zwei Erzählstränge: einmal den der gescheiterten Hochzeit,
weil kurz vorher eine unbequeme oder skandalöse Tatsache ans Licht kommt und eine
der beiden Familien geschlossen abwandert. Zweitens die von vornherein unerwünschte
Hochzeit oder allgemein unerwünschte Pärchenbildung, also wegen
Geld, Familie, Kaste, Klasse, Religion, was halt so indischen Familien
unabdingbar wichtig sein kann. Jetzt wird einfach die Kategorie sexuelle
Orientierung hinzugefügt.
Ziel aller Anstrengungen
ist es, vor allem die Hauptfigur, den Vater, den Patriarchen für
sich zu gewinnen. Der ist hier ganz bewusst ein gebildeter Mann, ein
Wissenschaftler, der übrigens gerade schwarzen Kohl gezüchtet hat,
also versucht, gegen die Natur zu arbeiten. Was natürlich nicht nur
komödiantisch, sondern auch symbolisch gemeint ist. Aber als der
Vater am Anfang des Films die beiden Männer beim Küssen erwischt,
muss auch er erst einmal kotzen und verabschiedet sich in eine
erholsame Ohnmacht. Bei all dem ist es gar nicht so sehr Ayushmann
Khurrana, der hier im Mittelpunkt steht, sondern der bemerkenswerte
Jitendra Kumar als gequälter Sohn, der zu seiner Familie einfach
nicht nein sagen kann, weil eigentlich ja alle so nett sind. Gajraj
Rao spielt den gequälten Vater, ohne in Klischees zu verfallen.
Neeta Gupta ist die hektische Mutter, die unbedingt eine Ehe für den
abseitigen Sohn arrangieren will. Und dann ist da die wunderbare
Sunita Rajwar als frustrierte Cousine, deren Ehe so plötzlich ins
Wasser fällt. Aber der Bräutigam war eh viel zu alt für sie. Die
ersten 75 Minuten der knapp 120 Minuten sind tatsächlich ungeheuer
temporeich, komisch und unterhaltsam, ohne je künstlich betroffen oder rührselig zu werden.
Das ist im Ganzen sehr
geschickt gemacht. Der Zuschauer hat sich bis dahin so gut amüsiert, dass man
den gebremsteren Rest akzeptiert. Denn im letzten Teil überwiegt das
Thema, es wird allgemein gesellschaftlich, und das führt einfach dazu, dass ein dramaturgischer Bruch entsteht und die
filmische Entertainment-Qualität natürlich nicht aufrecht erhalten bleiben kann. Da steht etwa Khurrana mit bloßem Oberkörper und Regenbogenfahne als Superheldenumhang auf einem Dach und hält eine Rede. Es wird sogar
richtig konstruiert politisch, um das Thema in den historischen
Kontext zu stellen. Denn wie der Zufall des Films es will, spielt das
Ganze vor und nach den Tagen der Entscheidung des indischen
Verfassungsgerichts um den erwähnten §377. Dieses Gesetz aus der Kolonialzeit wurde am 6. September 2018 als
verfassungswidrig abgeschafft. Wenn
man übrigens bedenkt, wie dröge man Filme dieser Art machen kann –
ich denke da etwa an Stanley Kramers Anti-Rassismus-Film RATE MAL WER ZUM
ESSEN KOMMT (1967) – dann fällt erst recht auf, wie gut man das
alles im Rahmen des Möglichen und Nötigen umgesetzt hat.
SHUBH MANGAL ZYADA SAAVDHAN ist übrigens eine indirekte Fortsetzung,
ein Spin-off von SHUBH
MANGAL SAAVDHAN (2017), einem Familienfilm über Erektionsstörungen, auch mit Khurrana.
Wenn man also bedenkt, dass dieser mit VICKY DONOR
(2012), einem Film über Samenspenden, sein sofort erfolgreiches
Kinodebüt hatte, dann könnte man ihn wohl inzwischen als König der
Bollywood-Sexualaufklärung bezeichnen, während also Akshay Kumar
mit Werken über Toiletten und Damenbinden der König der filmischen
Hygiene-Aufklärung ist. Bollywood-Star ist ein komplexer Beruf.