Der 1941 geborene Filmregisseur Adoor
Gopalakrishnan aus dem indischen Bundesstaat Kerala hat, rein
quantitativ betrachtet, eine bescheidene Filmografie vorzuweisen.
Einer der besten und bedeutendsten Filmemacher des Weltkinos hat in
den 44 Jahren 1972-2016 nur elf Spielfilme, fast ausschließlich auf
Malayalam, gedreht. Er selbst bezeichnet sich da schon mal
entschuldigend als einen faulen Menschen, den seine inzwischen verstorbene Ehefrau zum
nächsten Film oft anschieben musste. Aber seine Filme sind auch
keine Filme, die man einfach mal macht. Dafür sind sie zu persönlich
und genauestens kontrolliert. Mit scheinbar einfachen Mitteln
tauchen sie ein in die gezeigte Welt und in die Seelen der handelnden
Figuren. Sie sind voller Leerstellen, Andeutungen, mitunter wie nicht
Ausformuliertes, als hörte jemand mitten im Satz auf zu reden, und
doch wirkt alles ganz glasklar in diesem reinen Realismus, der sich
durch Gopalakrishnans Stil hin zu einem faszinierenden spirituellen
Realismus erweitert. Auf eine subtile Art hat hier alles Bedeutung,
ohne dass extra darauf hingewiesen wird. Die Tonspur wird ebenso
sorgfältig geschnitten wie der Film selbst. Dafür zieht der
Regisseur nach den Dreharbeiten persönlich erneut hinaus und macht
selbst die benötigten Aufnahmen. Kleine Laute können in diesen
Filmen, die oft ohne oder mit nur sehr eingeschränktem
Musiksoundtrack arbeiten, eine große Wirkung haben. Auf den
Zuschauer hat das Zusammenspiel all dieser Elemente eine sogartige
Wirkung, derer man sich gar nicht richtig bewusst ist.
Die geistigen und
technischen Grundlagen des Filmemachens erlernte Gopalakrishnan am Filminstitut von
Pune. Er wollte eigentlich Stücke schreiben, am Theater arbeiten,
ging dann mit falschen Vorstellungen zur Filmschule und wurde
plötzlich gepackt von den Möglichkeiten der Filmkunst, für die er
sich vorher nur als passiver Zuschauer interessiert hatte. Er ist
zwar ein Filmkenner, ein Cinephiler mit Filmbüchern im Büro, aber
er ist kein demonstrativ cinephiler Regisseur. In seinen Filmen gibt
es Intellektuelle, Schriftsteller, aber keinerlei Zitate aus anderen
Filmen oder gar Anspielungen auf die Filmindustrie. Was ihn nicht
davon abhält, mit echten Filmstars wie Mammootty zu arbeiten, wenn
sie ihm als perfekte Besetzung erscheinen. Ein Schauspieler sei ein
Schauspieler, egal, wie populär er sei. Dass er dafür von
ideologisch korrekter Seite getadelt wurde, kümmerte ihn nicht. Nach
seinem Abschluss in Pune war er aktiv als Gründer einer Kerala
Film Society, was auch die Herausgabe einer Zeitschrift, das Halten
von Vorträgen und die Veranstaltung eines Filmfestivals mit
einschloss. Seine aktive Filmkarriere begann in den 1960ern als
Dokumentarfilmregisseur. Seit 1995 hat er auch eine Reihe von Dokus
über klassische Theater-, Musik- und Tanzformen aus Kerala gedreht. Mit
diesen Künsten ist er groß geworden als Sohn einer
Großgrundbesitzerfamilie, die traditionell auch Künstler finanziell
unterstützte. In seinen Filmen, die oft in der Vergangenheit
spielen, beschränkt er sich auf die Zeit, die er selbst erlebt hat
und die mit dem späten Feudalismus beginnt, worauf der Zerfall
durch die Unabhängigkeit folgte. Und er betrachtet die weitere Entwicklung der
Gesellschaft mit ihren verschiedenen Umbrüchen. Alle seine Filme spielen
in und um Kerala.
Gopalakrishnans
Regiedebüt SWAYAMVARAM / ONE'S OWN CHOICE (1972)
ist der erste Malayalam-Film mit Originalton, was großen Einfluss
auf das Kino in Kerala hatte. Auch erste Experimente mit dem Ton gibt es
hier, wenn auch noch sehr auffällig und expressiv, wenn etwa beim
Tod eines Menschen laute Geräusche aus einem Sägewerk zu hören
sind. Es beginnt ganz alltäglich. Ein vor der Familie geflüchtetes
junges Pärchen sitzt in einem Bus. Sie sind, aus welchem Grund auch
immer, nicht verheiratet. Mehr erfährt man als Zuschauer nicht.
Allein die erste Sequenz, die lange Busfahrt mit dem echten Ton des
Motors, dem Reden der anderen Passagiere muss in Kerala filmrevolutionär gewirkt
haben. Es folgt das Ankommen im Hotel, dann glückliches
Beisammensein wie in einem populären Film. Gopalakrishnan filmt es ein bisschen
wie ein glückliches Songvideo am Wasser. Als spielte das Pärchen
Kino und sie glaubten an eine strahlende Zukunft. Der wahre Weg aber
führt kontinuierlich nach unten. Gopalakrishnan Absicht, gegen die
Storys und die Wirklichkeit des Mainstreamfilms anzuschreiben, wird
ein bisschen musterhaft überdeutlich. Der junge Mann ist Autor, sein
abgelehnter Roman heißt „Ekstase“, und so spielen die beiden zu
Beginn auch Ekstase, ohne die materielle Grundlage für eine Existenz
zu haben. Sie enden in einer schmierigen, halbseidenen Umgebung. Ehe
und Arbeit sind ein ewiger Kampf in einer rechtlosen Welt. Der
Arbeitgeber des Mannes, ein Schuldirektor, steht aber selber kurz vor
Pleite, sein Wagen ist kaputt, da bleibt nur Saufen. Statt in Ekstase
endet alles in Agonie. Zwischendurch marschieren protestierende
Arbeiter durchs Bild, aber zu denen gehört der Bürgerliche nicht.
Er muss sich ganz individuell durch sein eigenes Elend quälen,
allein und weder mit Familien- noch mit Klassenrückhalt.
KODIYETTAM /
THE ASCENT (1977), ebenfalls noch in Schwarzweiß, war das Debüt des
später so berühmten Schauspielers Bharat Gopy. Es ist eine
Erwachsenwerden-Geschichte mit Verspätung, denn die Hauptfigur ist
der schon 32-jährige Sankarankutty mit kindlichen Vorlieben. Er
spielt mit den Kindern, holt ihnen ihre Drachen von den Bäumen und
treibt sich mit Vorliebe auf den Jahrmärkten der Umgebung herum,
immer hoffend, dass ihm jemand etwas bezahlt. Verwöhnt von der
Schwester ist er in einem kindartigen Zustand geblieben. Er heiratet,
ändert aber sein Verhalten nicht, sodass die Ehefrau mitsamt Kind zur
Mutter zurückzieht. Realismus des Provinzlebens zeichnet KODIYETTAM
aus, aber ohne aufgesetzte Düsternis. Die Düsternis des wahren Lebens schimmert immer
nur vage durch, und Sankarankutty beobachtet sie mit einer gewissen
Naivität, doch irgendwann fällt sie ihm durch den Selbstmord einer Frau, die ihm immer geholfen hat, zum ersten Mal deutlich
auf. Dann kümmert er sich doch um einen Job, sieht das Doppelleben
seines Trucker-Chefs mit Familie und Geliebter. KODIYETTAM ist einer
der wenigen Filme Gopalakrishnans mit schönem Ende. Es gibt eine
Wiederannäherung mit der Ehefrau und vor allem dem Kind, das jetzt
vielleicht doch noch einen Vater bekommt.
Gopalakrishnans
erster Farbfilm, und gleichzeitig sein erstes großes Meisterwerk,
ELIPPATHAYAM / THE RAT TRAP (1981) spielt im stattlichen
Anwesen eines Landbesitzers, der dort mit zwei Schwestern
wohnt. Alles dreht sich um den Mann, der im Privaten noch Feudalismus
spielt, obwohl dessen Zeit längst vorbei ist. Die ältere Schwester
Rajammi macht die ganze Arbeit und wird dabei immer kränker. Die
Jüngere denkt an die Moderne da draußen außerhalb des Dschungels
und vor allem in der Luft, in Form von Flugzeugen. Eines Tage ist sie
einfach fort mit einem jungen Mann. Der Film handelt aber nicht, wie
das klassische Melodrama-Kino es machen würde, vom deprimierenden Leiden einer ausgebeuteten Frau, die der Bruder nicht heiraten
lässt. Denn die verheiratete dritte und älteste Schwester bringt
Widerstand herein, will den ihr zustehenden Anteil am Erbe. Vor allem
ist ELIPPATHAYAM
ein Männerporträt, aber nicht das klischeehaft
autoritäre, wie man es eher gewohnt ist, sondern das eines Mannes, der
lethargisch, wie geistig tot ist, gar nicht existiert, weich, passiv,
nicht überlebensfähig. So wie eine gejagte Ratte sich in einer Ecke
oder einem Loch versteckt, so verkriecht er sich am Ende vor der
Wirklichkeit und ihren Anforderungen in seinem Haus. Das Rattenmotiv
zieht sich durch den Film. Am Anfang werden bildliche Ausschnitte aus
Haus und Gegend gezeigt, durchbrochen von panischem Geschrei wegen
einer angeblichen Ratte. Der im Bett liegende Mann fühlt sich
gebissen. Er muss bemuttert werden.Von da an werden drei Mal, wie in
einem Ritual, Ratten im Käfig zum Ghat gebracht und dort ersäuft.
Es gibt viele Szenen im Dunkel. Gopalakrishnan filmt ganz abstrakt
Licht und Schatten, die Natur, die Elemente, vor allem den Regen,
den man nicht nur fallen sieht, sondern auch durch das Geräusch zu
spüren meint. Gopalakrishnan trifft bei allem Visuellem eine präzise
Auswahl, ohne gewollt bedeutsam zu wirken. Da gibt es Einstellungen
wie die des verlassenen Bruder im Regen, der wie ein Schleier
zwischen ihm und der Kamera steht, als wäre er jetzt eine
ertrinkende Ratte. Eine Vorahnung auf das Bad, das ihn am Ende
erwartet.
In MUKHAMUKHAM /
FACE TO FACE (1984), den ich nicht gesehen habe, kommt ein alter
Kommunist nach vielen Jahren zurück in seine Heimat, die er wegen
staatlicher Verfolgung verlassen hatte. Doch aus dem einstigen
Arbeiterhelden ist ein heruntergekommener Trinker geworden. Um die
Legende aufrecht zu halten, töten ihn seine ehemaligen Genossen. Der
Film erregte bei der schon immer bös empfindlichen Linken viel
Aufregung.
ANANTARAM /
MONOLOGUE (1987) ist ein Film über eine psychische
Grenzerfahrung, irgendwo zwischen Krankheit und Fantasiewelt. Erzählt
wird die Geschichte eines Waisenjungen. Es beginnt mit einem
weinenden Baby, das adoptiert wird von einem Arzt, der alleinstehend
ist mit einem von Mammootty verkörperten, Medizin studierenden Sohn.
Dann wird die Geschichte in zwei Versionen erzählt, und es scheint
zunächst so, als sei die erste Version reine Fiktion, ein reiner
Wunschtraum, sodass es mit den tatsächlichen Begebenheiten von vorne
beginnt. Aber auch das ist nicht wirklich sicher. Nichts ist sicher
in diesem Film außer einer rein subjektiven Sichtweise, die nicht
objektiviert wird, um einen distanzierten, den Zuschauer beruhigenden
Überblick zu verschaffen. In der ersten Version ist der Junge ein
fantastischer Schüler, ein Einzelgänger, weil er so ein
ausgestoßener Überflieger ist. Eine Schwägerin kommt ins Haus und
sie erwidert seine Liebe. Dann sieht man Leute vor dem Collegezimmer
des Jungen, was auf einen Selbstmord hindeuten könnte. Nun geht es
von vorne los mit ihm als kleinem Kind, mit dessen Fantasie drei
Hausangestellte ein paar fantastische Scherze zu viel treiben, denn
er ist sehr empfänglich für deren Gruselmärchen und den
Verdrehungen der Wirklichkeit, sodass er hinterher nichts mehr
auseinanderhalten kann. Und wieder taucht die unerreichbare
Schwägerin auf in Form einer Liebesgeschichte zur Collegezeit, als
er immer auf sie im Bus gewartet hat. Das ist sehr poetisch, aber
vielleicht ist hier in Wirklichkeit überhaupt nichts wirklich.
MATHILUKAL /
WALLS (1989) beruht auf einem Roman von Vaikom Muhammad
Basheer. Mammootty spielt einen bekannten Schriftsteller, der wegen
Verrats zu 2,5 Jahren in britisch-indischen Gefängnissen verurteilt
wurde. Er ist immer freundlich, lächelnd und versucht, es alles auf
duldsame Art zu nehmen, hat guten Kontakt zu Wärtern, Mitgefangenen.
Viele kennen und mögen seine Bücher. Aber er trifft auch auf
weniger Privilegierte, auf Unschuldige, die im Gegensatz zu ihm gar
nicht wissen, warum sie da sind und nun im Gram über Ungerechtigkeit
geistig und körperlich verfallen. Da sind die langen Gänge an
scheinbar endlosen Mauern, begleitet von seitlichen Kamerafahrten.
Auf der anderen Seite spielt sich in seiner Zelle und im Garten vor
der Zelle ein einsames Kammerspiel ab. Er hat Sehnsucht nach
Schönheit. Seine Hand geht zu einem gelben Schmetterling. Und er
pflanzt Rosen, spricht sogar mit der einen Rose, die nicht blüht.
Und die Zeit vergeht. Die ewige Gefängnis-Routine wechselt mit
einigen außergewöhnlichen Augenblicken wie dem nächtlichen
Zubereiten des letzten Tees für einen zum Tode Verurteilten. Darauf
folgt eine durchwachte Nacht für diesen Todgeweihten. Er wandert den
Gang an den Zellen auf und nieder, und sein Lächeln ist nicht mehr
so natürlich. Eine Amnestie für Politische betrifft ihn nicht.
Allein bleibt er zurück und verfällt in eine Depression. Er
freundet sich an mit einer weiblichen Stimme hinter der hohen Mauer, wo das
Frauengefängnis liegt. Sie verabreden ein Treffen. Gerade jetzt wird
er jedoch entlassen und ist plötzlich unendlich traurig. Tränen
stehen in seinen Augen.
In
VIDHEYAN / THE SERVILE (1993) verkörpert
Mammootty das genaue Gegenteil seiner sanften Rolle aus MATHILUKAL.
Wie in ELIPPATHAYAM geht es um einen heruntergekommenen Landbesitzer,
der die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Aber diesmal ist es kein
Weichling, sondern ein sehr aktiver, mörderischer Dämon, der seine
Umgebung mit Unheil und Tod überzieht. Mammootty ist beängstigend
überzeugend in der Rolle dieser durch und durch abstoßenden Figur.
VIDHEYAN ist allerdings weit mehr als ein Film über die Untaten
eines brutal-sadistischen Landbesitzers, der sich so benimmt, als sei es
seine Pflicht. Erzählt wird vor allem ein Herr-Knecht-Verhältnis
aus der Sicht des Letzteren. Wie Hass auf den Mann, der seine Frau
vergewaltigt und sie sich als Geliebte nimmt, umschlägt in
Servilität und Abhängigkeit. Erst will der Diener den Herrn nach
der Vergewaltigung in Stücke schneiden, doch dann gibt es
Gunstbeweise und er wird in das Leben des Herrn hineingezogen. Die
Folge ist die totale Identifizierung. VIDHEYAN ist ein Film mit viel
tiefem Schwarz, finsteren Nachtszenen, in denen sich auch die Rituale
des Bedienens, des ewigen Arrakh-Einschenkens, wiederholen. Der
Landbesitzer mag nichts Gutes, Unschuldiges, Heiliges um sich. Allein
deshalb bringt er seine sanfte Ehefrau um, was seinen Untergang
herbeiführt. Aber vielleicht war es das, was er immer gesucht hat.
Düsteres göttliches Vorzeichen ist der missglückte Dynamitanschlag
auf die heiligen Fische im Dorfteich. Nach dem gewaltsamen Tod des
Herrn steht der Diener allein da. Eine der letzten Einstellungen
zeigt ihn als schwarzen Schatten gegen den blauen Himmel, als wäre
er einen Moment lang gar nichts ohne seinen Herrn. Dann läuft er
nach Hause, für den Moment zumindest freudig, zu seiner Frau.
In
KATHAPURUSHAM / THE MAN OF THE STORY (1995)
erzählt Gopalakrishnan zum ersten Mal auf epische Weise über einen
längeren Zeitraum hinweg. Die Jahre 1937-1977 umfassen
den Feudalismus, die Unabhängigkeit, kommunistische Agitation und
den nationalen Ausnahmezustand Indira Gandhis. Man verfolgt den Weg
eines Jungen zum Mann. Er ist, das muss man so sagen, als Kind ein
fürchterliches Weichei und eine echte Heulsuse. Der strenge Lehrer
macht sein Stottern beim Alphabet-Aufsagen aber auch nicht besser.
Das Mädchen Meenakshi, Tochter der Köchin, ärgert ihn, bemuttert
ihn aber auch. Er wächst auf in einem geborgenen Feudalismus,
gemeinsam mit den Bediensteten herrscht eine familiäre Atmosphäre.
Der Schulweg in Begleitung des Hausdieners durch die monsungrünen
Felder und Wälder Keralas in großen Totalen, das gehört zu den
Bildern, die man sofort mit dem Film verbindet. Verdunkelt wird sein
Leben durch die Abwesenheit des Vaters und die bettlägerige
Kränklichkeit der Mutter. Es gibt in KATHAPURUSHAN eine Reihe von
Männern, die ihre Familie im Stich lassen oder vernachlässigen. Er
selbst kommt zum Tod der Mutter, der Großmutter und auch des
abwesenden Vaters zu spät. Seine dumm-idealistische Unterstützung
der Naxaliten hat fast böse Folgen, aber er wird vor Gericht
freigesprochen. Von Politik hat er nun genug. Die klassenlose
Gesellschaft setzt er jetzt lieber im Privaten um. Und dies führt zu
einer der unvergesslichen Szenen des Films, wo er endlich Meenakshi
aufsucht, die sich allen Versuchen, sie zu verheiraten, widersetzt hat.
Sie sieht müde aus, hat dunkle Ringe unter den Augen. Ihre Mutter
und Schwester gehen still ins Haus. Meenakshi bricht in Tränen aus,
in Tränen der Erleichterung, der Freude: „Du hast uns doch nicht
vergessen!“ Nur der saufende Vater will eine Mitgift, denn Alkohol
gibt es nirgendwo auf der Welt kostenlos. Sie verkaufen das große Anwesen und ziehen in ein kleines Haus mit Garten, wo er schreibt.
Gerade im Moment des Erfolges greift der Staat wieder ein und
verbietet das Buch. Da muss er lachen, das Stottern ist weg, und
gemeinsam mit Frau und Kind singt er das Alphabet, was er in der
Schule nie geschafft hat. KATHAPURUSHAM ist Gopalakrishnans
berührendster, emotionalster und intimster Film. Es ist kein
autobiografischer Film, aber in der Atmosphäre und sicher in vielen
Details voll von Autobiografischem. So kann man hier beispielsweise das Geburtshaus des Regisseurs sehen.
NIZHALKUTHU /
SHADOW KILL (2002) ist kein Film, der grundsätzlich
gegen die Todesstrafe ist. Es geht vielmehr darum, dass die ethischen
und religiösen Diskussionen über die Todesstrafe in einer korrupten
Welt überflüssig sind. Wer in dieser Welt für die Todesstrafe ist,
der ist so dumm, dem Staat und der Justiz zu trauen. Der
Breitwandfilm spielt auf dem Land, zum größten Teil auf dem
abgelegenen Anwesen eines Henkers im Jahre 1941 in einem Fürstentum
im heutigen Kerala. Zwischen den Momenten, wo er gerufen wird, um
sein Amt auszuüben, trinkt er viel und betätigt sich als Heiler mit
der Asche des Stricks, der im Gebetsraum für die Göttin Kaali hängt.
Und das funktioniert, er kann sogar böse Geister austreiben. Er
rätselt selbst darüber, warum es funktioniert, vollzieht viele
Reinigungen. Gerade ist seine Tochter Frau geworden, und die
Feierlichkeiten werden begangen. Bis dahin wirkt es wie ein
fatalistischer Film über den Kreislauf von Tod und Leben. Doch
zwischendurch gibt es Gespräche über die vielen Fehlurteile, dass
sowieso nur unschuldige arme Leute hingerichtet werden, dass alles
eine korrupte Scheinjustiz ist. Gopalakrishnan benutzt
kontrapunktische Musik mit harten, metallischen Rhythmen, wenn drei
mittelalte Damen sich beim Baden über die Wirkung der Strickasche
unterhalten. Der Henker geht derweil immer mehr zugrunde, verbrennt
regelrecht von innen, als spürte er den Alkohol und das Feuer des
Stricks. All die vielen Rituale können nicht die Tatsache
verhindern, dass Unschuldige hingerichtet werden. Die Geschichte
eines solchen unschuldig Hingerichteten vermischt sich in seiner
Phantasie mit der eigenen Familie. Gopalakrishnan arbeitet mit den
Geräuschen der Natur bei der Geschichte um einen Flötenspieler,
einer unschuldigen Liebe, ruiniert durch einen Vergewaltiger und
Mörder. Der alte Henker stirbt mit diesen Gedanken. Und die grausame
Ironie ist, dass dessen Sohn als Anhänger von Gandhi und
Gewaltlosigkeit die Arbeit des Vaters zu Ende bringen muss.
Es folgen zwei
Episodenfilme, direkt hintereinander gedreht, nach den Erzählungen
von Thakazi Sivasankara Pillai. Gesehen habe ich allerdings nur NAALU
PENNUNGAL / FOUR WOMEN (2007). Es ist ein schöner Film, aber
nicht ganz so großartig wie gewöhnlich, denn Gopalakrishnan-Filme
brauchen eine gewisse Zeit, um sich zu entwickeln, sich beim
Zuschauer einzuschleichen. Und bei einer Länge von 20-30 Minuten pro
Episode geht diese Wirkung natürlich teilweise verloren. Hier geht
es vor allem um Beobachtung, Präzision und Pointe. 2008 folgte
sofort ORU PENNUM RANDAANUM / A CLIMATE FOR CRIME (2008), den
ich aber nicht kenne.
Sein bisher letzter Film
PINNEYUM / ONCE AGAIN (2016) zeichnet ein düsteres Bild von der
Geldgier, die das Schlimmste aus ganz normalen, gut bürgerlichen Menschen herausholen
kann. Es ist eine Familiengeschichte. Ein Familienvater kann nach
Jahren des Versagens einen guten Job in Dubai ergattern. Das bringt
Geld, Anerkennung, eine höhere soziale Rolle innerhalb seiner Kaste. Und jetzt hat er Blut
gerochen und leider in seinem Leben zu viele klassische
Kriminalromane gelesen. Also hat er sich das perfekte und komplett
idiotische Verbrechen, einen Versicherungsbetrug, ausgedacht. Am Ende
sind Onkel und Schwiegervater im Gefängnis. Und der nette Schwager
bleibt bis zum Tod verkrüppelt von der Polizeifolter. Dabei war er
absolut unschuldig. Zwei Szenen bleiben besonders in Erinnerung. Vor
allem natürlich das brutale Erdrosseln eines Mannes, der dringend zu
seiner Frau ins Krankenhaus muss. Und dann nach vielen Jahren die
nächtliche Rückkehr des Familienvaters zur Frau, die er mitnehmen möchte. Sie
weigert sich. Mehrmals schleicht er nachts durch den dicht zugewachsenen Garten an ihr Fenster. Als sie es sich, für die als Kind eines Mörders
gesellschaftlich ausgestoßene Tochter, anders überlegt, ist es zu
spät. Mit einem Toten in einem Motelzimmer hatte der Film begonnen.
Damit endet er. Und jetzt weiß man, um wen es sich bei diesem
Selbstmörder handelt. Sein Pseudonym war das des Mordopfers.