Sandip Rays bengalischen
Film PROFESSOR SHONKU O EL DORADO (2019) bei Amazon Prime zu
entdecken, fühlte sich ein bisschen wie ein verspätetes
Weihnachtsgeschenk an, denn Ende letzten Jahres lief der Film regulär
in den bengalischen Kinos. Dass er auf amazon.com schon seit Februar
abrufbar ist, ohne dass ich es bemerkt habe, obwohl ich regelmäßig
auch nach neuen bengalischen Filmen schaue, zeigt, nebenbei gesagt,
was für ein unsortierter Ramschladen das moderne Streaming-Wesen
ist. Aber wie dem auch sei, es war einfach eine reine Freude, die
literarische Professor-Shonku-Welt des 1992 verstorbenen Satyajit
Ray, der ja nicht nur der bekannteste und bedeutendste bengalische
Filmregisseur überhaupt ist, sondern auch äußerst populäre
Geschichten für Kinder und Jugendliche geschrieben hat, zum ersten
Mal als Realverfilmung sehen zu dürfen. Zum Vergleich: Der erste
Kinoauftritt von Satyajit Rays Detektivfigur Feluda war schon im
Jahre 1974 in SONAR KELLA, und bei dem Werk hat der Meister selbst
Regie geführt. Da hatte es für mich also zunächst mal gar nicht so
viel Bedeutung, wie gut oder nicht gut dieser neue Film ist.
Satyajit Rays Sohn Sandip
Ray ist der Regisseur von PROFESSOR SHONKU O EL DORADO. In den
letzten Jahren hatte der sich ganz auf die Inszenierung von
Kriminalfilmen mit Feluda konzentriert. Hier wie dort hält er sich
eng an die Vorlage, hatte hier aber ein Problem zu lösen, das ihm
der Vater indirekt hinterlassen hat. Während es sich bei den
Feluda-Krimis um mehr oder weniger lange Romane handelt, mit genügend
Stoff und Details für einen Langfilm, sind die Geschichten um den in
der bengalischen Provinz lebenden, genialen Wissenschaftler und
Erfinder Professor Trilokeshwar Shonku bloß Kurzgeschichten, sodass
man entweder Neues erfinden oder Verschiedenes aus den Storys
kombinieren muss, damit es reicht für einen Spielfilm. Daher erkennt
man als Shonku-Leser in PROFESSOR SHONKU O EL DORADO zwar die
einzelnen Teile wieder, aber nicht die Art und Weise, wie sie
verknüpft sind.
Es beginnt im Jahre 2019
in Kolkata mit Shonkus Tagebuch, das ein Mann an einen
Zeitungsredakteur verkauft. Dieses wurde in der Einschlagstelle
eines Meteoriten gefunden und ist nicht aus gewöhnlichem Papier und
auch die ständig ihre Farbe wechselnde Tinte ist nicht von dieser Erde. Der
Zeitungsmensch beginnt zu lesen, Rückblende ins Jahr 2016: Rein
optisch ist hier alles perfekt. Das Anwesen in Giridih, der Kater
Newton, selbst der heutzutage wie ein altmodisches
„Robbi-Tobbi-und-das Fliewatüüt“-Relikt anmutende Roboter ist
zu sehen, auch wenn er deaktiviert in der Ecke steht. Was zu einem
weiteren Problem einer heutzutage spielenden Shonku-Verfilmung führt.
Während Krimis meist sehr allgemeingültig sind und ein paar
Modifikationen für zeitgemäße Zusammenhänge genügen, veraltet
Science-Fiction schnell, ebenso wie der erwähnte Roboter. Sandip
Ray entschied sich für eine Modernisierung, ohne diesen Hauch von
Altmodischem, Traditionellem aufzugeben. Vor allem die
Digitalisierung hat er selbstverständlich einführen müssen.
Folglich hat das Hologrammtelefon, das einer großväterlichen
Taschenuhr entspringt, eine klassische Wählscheibe und keine Tasten.
Und es gibt die große Betonung des Handwerklichen, also dass nur
Shonku alleine seine Erfindungen bauen kann und dass sie nicht
industriell im Massenbetrieb angefertigt werden können. Shonku ist
eben auch ein bisschen ein Selbstporträt Satyajit Rays, der
bekanntlich ebenfalls alles selbst gemacht hat bei seinen Filmen. Selbst
die Kamera hat er mit eigener Hand geführt.
Bei der von Dhritiman
Chatterjee dargestellten Hauptfigur des Professor Shonku hat man sich
für unbeirrbare Ernsthaftigkeit entschieden. Hier gibt es keine Spur
von akademischer Zerstreutheit oder von einem lustig
verwirrt-verrückten Wissenschaftler. Für subtil-skurrilen Humor sorgt daher die Figur des Nakur Babu, gespielt von Subhasish Mukerjee,
der durch die zu große Nähe zu einem sich entladenden Kugelblitz
hellseherische Fähigkeiten bekommen hat und der nun als Sekretär
mit dem Professor auf eine Konferenzreise nach Brasilien fährt, wo einige Gefahren und Abenteuer lauern. Dazu
eingeladen wurde Shonku aufgrund der aufsehenerweckenden Veröffentlichung eines Artikel von ihm im
schwedischen naturwissenschaftlichen Magazin „Cosmos“. In dem Artikel hat Shonku zum ersten Mal alle seine Erfindungen wie die Annihilationspistole oder die sofort wirkende Wundersalbe
vorgestellt. In Brasilien trifft er auch auf seine beiden Freunde und
Wissenschaftler-Kollegen Jeremy und Wihelm, übrigens, wie der Name
ahnen lässt, ein Deutscher, für dessen Darstellung man doch
wirklich einen echten Deutschen hätte nehmen können. Jeder
Deutschsprachige bekommt für ein paar Sekunden Magenstechen,
wenn der Darsteller einen deutschen Satz radebrecht, als wollte er
etwas aus sich herauswürgen.
Mir hat PROFESSOR SHONKU
O EL DORADO mit seinen Ideen, seiner Story, seinen exotischen Drehorten und seinen Darstellern Spaß gemacht, aber ich weiß nicht, ob Menschen ohne
jede Kenntnis der Vorlagen diesen nachvollziehen können. Denn
zugegebenermaßen, im Ganzen ist es leider ein etwas gebremstes
Vergnügen, auch wenn der Film kurzweilig zu gucken ist, aber
irgendwie wird der Ton der Geschichten nicht ganz genau getroffen. Man spürt die
Ehrfurcht vor der Vorlage, die Vorsicht, mit der zu Werke gegangen
worden ist. Was man verstehen kann. Immerhin ist Shonku eine
bengalische Kultur-Ikone, und da ist Vorsicht allein schon angesagt
angesichts all der Shonku-Fans, denen man es nur schwer recht machen kann.
Na ja, ich bin ja auch schon am Meckern. Auf jeden Fall hoffe ich,
dass der Film erfolgreich genug war, um ein zweites Abenteuer
finanzieren zu können.
Der Tag, an dem ich
PROFESSOR SHONKU sah, war übrigens überhaupt mein bengalischer Tag. Neben Bo van der Werfs Doku SATYAJIT RAY NEGATIVES (2006) über Satyajit Rays Standfotografen Nemai Ghosh habe ich
auch noch einen Film mit einer anderen bengalischen Ikone gesehen:
BYOMKESH PAWRBU (2016) mit Saradindu Bandyopadhyays klassischer Detektiv-Figur Byomkesh Bakshi, der sich selbst
aber eher als Wahrheitssucher betrachtet. Es gibt sogar eine konkrete
Verbindung zwischen beiden Filmen: Subhasish
Mukerjee, der Nakur Babu aus dem Shonku-Film, spielt hier auch mit,
gehört zum Kreis der Verdächtigen um illegalen Waffenschmuggel im
Dschungel. Auch hier gibt es keine große Modernisierung, außer
vielleicht zwei Hero-Prügeleien, eine mit einem Satz, der direkt aus
einem Salman-Khan-Film stammen könnte. Aber sonst ist es ein Film
mit schöner Atmosphäre, schönem Rhythmus und guten Darstellern.
Sogar Rabindranath Tagore wird hier während des Nachspanns
rezitiert. Es war also ein guter bengalischer Tag.
[Auf meinem Bücher-Blog "Die Bücher meiner Vergangenheit" gibt es einen allgemeineren Artikel über Professor Shonku und Satyajit Rays Vorliebe für Science-Fiction: Link]
[Auf meinem Bücher-Blog "Die Bücher meiner Vergangenheit" gibt es einen allgemeineren Artikel über Professor Shonku und Satyajit Rays Vorliebe für Science-Fiction: Link]