Nachdem Hindi-Superstar Anil Kapoor auf einem Laptop-Bildschirm sehen musste, wie seiner entführten Tochter Sonam Kapoor ein Finger abgeschnitten wurde, stürzt er sich auf den Entführer, den Hindi-Regisseur Anurag Kashyap, und sie prügeln sich heftig, wobei der Weihnachtsbaum und ein Teil der Zimmereinrichtung plattgemacht werden. Das hat natürlich eine Vorgeschichte. Alles fing damit an, dass Kashyap während einer hitzigen TV-Talkshow Kapoor ein Glas Wasser ins Gesicht kippte und dann ein Opfer der von Medien beherrschten Cancel Culture wurde. Niemand wollte mehr mit ihm arbeiten. Seine Karriere war vorbei. Der rettende Gedanke: Kapoors Tochter entführen und den Star zwingen, in einem Reality-Bollywood-Thriller mitzuwirken, in dem er seine Tochter finden und retten soll. Und natürlich ist das alles reine Fiktion und die Netflix-Produktion AK VS AK (2020) ist nicht einmal von Kashyap, denn Regie führte Vikramaditya Motwane, der mit Avinash Sampath das Drehbuch geschrieben hat.
So beginnt die Story zunächst wie eine Komödie im Stil der Sitcoms, in denen jemand eine fiktive, übersteigerte, leicht irre Version von sich selbst spielt, so wie in SEINFELD, PASTEWKA oder der dänischen Serie KLOVN. Dazu kommen noch viele berühmte Leute, aber nichts davon ist echt außer der Fassade. Es ist eine Mediensatire, eine Ironisierung, Selbstironisierung des Bildes, das die Öffentlichkeit hat und sich macht. Das zieht sich durch den ganzen Film, auch noch, wenn er wilder wird. Die beiden Protagonisten beschimpfen sich. Anurag ist nachtragend und immer noch böse, weil Anil ihm vor 17 Jahren eine Absage für einen Film gab. Anil Kapoor sei ein alter Mann und kein Hero-Material mehr. Aber da zumindest die Dialoge des Films übrigens doch von Kashyap selbst sind, lässt er keine Gelegenheit aus, sich selbst zu veralbern. Er ist der Regisseur, der nie einen Hit hatte, der auf den Salman-Khan-Erfolg DABANGG angesprochen wird, der aber doch von seinem Bruder ist. Der Spott über die gescheiterte Ehen. Die Unbekanntheit bei der Masse. Anurag? Anurag wer? Anurag Basu?
Als Anil Kapoor merkt, dass tatsächlich etwas nicht stimmt und Tochter Sonam wirklich verschwunden ist und Kashyap ihr Handy hat, macht er sich auf die Suche. Aber der Star in ihm behindert leider den suchenden Vater, den einfachen Menschen. Ständig muss er seine Nachforschungen unterbrechen, sich fotografieren lassen, einen Tanz aufführen. Da gibt es die wunderbare Szene, wo er verzweifelt in einem Polizeirevier seine Geschichte erzählt, woraufhin das ganze Büro klatscht angesichts der vermeintlich grandiosen Darstellerleistung. Anil Kapoor schauspielert dabei brillant, nicht zu schauspielern. Und die ganze Filmstarfamilie ist da, eine lange Nase den öden Nepotismus-Vorwürfen drehend. Alle: Sonam, Harsh und auch noch Bruder Boney, der so richtig schlechte Laune hat. Ehefrau Sunita wollte übrigens nicht einmal mit ihrer Stimme mitwirken. Sie war bei den Dreharbeiten in Kapoors Haus der einzige Mensch, vor dem man Angst hatte. Hinter jedem großen Mann steht eben eine Frau, die er fürchtet.
Jenseits der ironischen Reality-Action-Fassade ist AK VS AK ein Film über den Gegensatz zwischen Regisseur- und Starkino in Bollywood, das ja vor allem ein Starkino ist. Selbst die besten und berühmtesten Regisseure wie Bhansali oder Ratnam müssen achtgeben auf die richtige Besetzung. Und Kashyaps Erpressungs-Film in AK VS AK ist so auch ein bisschen die Rache am mächtigen Star. Jetzt endlich soll die Überlegenheit über den Star bewiesen werden. Wenn man ihn rausschickt auf die echte Straße ohne Stuntman und klimatisierten Wagen, dann zeigt sich seine Schwäche. Aber der Regisseur plant, und der Star lenkt. Denn plötzlich wird es unübersichtlich. Der Film entgleitet Kashyaph. Sicherheit und Kontrolle lösen sich in Luft auf. Das Drehbuch wurde ohne sein Wissen umgeschrieben. Er wird zerrieben zwischen ehrgeizigen, aufstrebenden, zu jedem Verrat bereiten Jungregisseuren und dem Starsystem. Und es gibt ihn auch hier, den großen, berühmten, überraschenden Story-Twist, der alles umdreht und die Uhren auf Null stellt. Dieser Twist entmachtet den Regisseur und macht den Star noch größer, als er eh schon ist. Das ist der der Sieg des Starkinos über das Regiekino. Der Regisseur mag sich noch so sehr als kinoverrückten Wahnsinnigen selbst für ein Genie halten, am Ende wartet aber doch nur die Klapsmühle und die Zwangsjacke auf ihn.
Stilistisch bedient Motwane sich bei Kashyaps gerne propagierter Methode der Guerilla-Filmerei mit Handkamera. Immer filmen, überall, notfalls versteckt auf der Straße. Oder, genauer gesagt: Es erweckt zumindest den Anschein. Es ist schwer auseinander zu halten, was geplant und was vielleicht tatsächlich improvisiert ist. Es geht in oft rasendem Tempo quer durch die Straßen und Gänge, U-Bahn, Bahnhof, Veranstaltungen, eine improvisierte Einlage, rechts steht Kashyap lächelnd und ist höchst angetan von dem Tanz, der gerade die Menge begeistert. Der grandiose und mutige Anil Kapoor hat sich auf einen gewagten Film eingelassen, aber mit zwei der besten Hindi-Filmemacher jeweils vor und hinter der Kamera konnte er das Risiko auf sich nehmen.